Biographischer Abriss über Agatha Christie

Mord war ihr Metier: in ihren über 80 Kriminalromanen geht es immer um die Frage “Wer war’s?” Ihr Privatleben galt ihr als heilig. Selten gab sie Interviews und mied die Öffentlichkeit. “Warum”, fragte sie, “müssen Autoren immer darüber sprechen, was sie schreiben?”. Doch hier wollen wir dann doch die Frage stellen “Wer war Agatha Christie?”

Agatha Christie kam am 15. September 1890 als Agatha Mary Clarissa Miller als jüngstes von drei Kindern (eine Schwester und ein Bruder) im englischen Seebad Torquay zur Welt. Sie entstammte einer gutsituierten Familie der Mittelklasse. Ihr Vater war Amerikaner. Er lernte Agathas Mutter Clara auf eine Weise kennen, wie sie Agatha in ihren Romanen nicht besser hätte erfinden können. Agathas Mutter Clara wuchs bei ihrer Tante auf, die einen reichen amerikanischen Witwer geheiratet hatte. Dieser hatte einen Sohn, der sieben Jahre älter war als Clara. Mit 32 Jahren heiratete er Clara. Eigentlich wollte man sich in Amerika niederlassen, doch Clara, von ihrem Mann beauftragt, für kurze Zeit ein Haus in Torquay zu mieten, kaufte kurz entschlossen ein Haus, weil es ihr besonders gefiel. Ihr Mann musste sich wohl oder übel damit abfinden und bis kurz vor seinem Tod war er damit beschäftigt, Möbel und andere Einrichtungsstücke für das Haus zu kaufen. Agathas Mutter Clara dominierte im Haushalt Miller. Sie war intelligent, schrieb Gedichte und Geschichten. Sie war überhaupt eine unkonventionelle Persönlichkeit. Ihrer Meinung nach sollte kein Kind vor acht Jahren lesen lernen. Doch in Agathas Fall hatte sie dabei wenig Erfolg. Agatha, von Worten und Redewendungen fasziniert, ließ sich von ihrem Kindermädchen vorlesen, was auf Laden- und Straßenschildern stand. Diese Art des Lesenlernens war für ihre späteren Rechtschreibekünste nicht förderlich. Zuhause las Agatha, was ihr unter die Finger kam. Unterbrochen wurde ihre Lektüre durch Spiele und Geschichten, die sie erfand und durch die Mahlzeiten. Sie aß gerne, weil sie sich oft langweilte, da sie kaum Spielkameraden hatte. Dinner mit besonderen Speisen tauchen auch oft in ihren Romanen auf.

Als Agatha elf Jahre alt war, starb ihr Vater. Diesen Augenblick bezeichnete sie später oft als das Ende ihrer Kindheit. Als der Vater starb, war fast das ganze Erbe der Millers aufgebraucht. Agatha besuchte mehrere Mädchenpensionate, darunter eines in Paris. In die Gesellschaft eingeführt wurde sie in Ägypten, weil London für die Familie zu teuer gewesen wäre. Später sollte sie noch häufiger nach Ägypten und in den Nahen Osten zurückkehren, um die Atmosphäre in ihren Romanen wie “Tod auf dem Nil” zu verarbeiten.

Nachdem sie einsehen musste, dass ihre Stimme für die Oper nicht kräftig genug war, fand sie zu ihrer späteren Profession. Als sie sich von einer Grippe erholte, schlug ihr ihre Mutter vor, das zu tun, was Agathas Schwester vor ihrer Heirat getan hatte: Geschichten zu schreiben. Es entstand das 30 Seiten starke “The house of beauty”, eine phantasievolle Geschichte über Traumvorstellungen und Okkultismus (der auch später in mehreren Kurzgeschichten oder auch im Roman “Das fahle Pferd” anklingt). Nach starker Überarbeitung wurde das Werk als “The house of dreams” 1926 im Sovereign Magazine veröffentlicht. Es folgen weitere Kurzgeschichten ähnlichen Stils. Dann entstand ein Roman “Snow upon the desert”. Nachdem verschiedene Verleger das Manuskript abgelehnt hatten, fragte sie einen damals recht bekannten Schriftsteller, Eden Philpotts, der ein Freund der Familie war, um Rat. Er bescheinigte ihr “ein gutes Gefühl für Dialoge”. Sie solle aber “moralische Betrachtungen aus ihren Romanen heraushalten”. Außerdem empfahl er ihr einige Bücher, um ihren Stil und Vokabular zu verbessern.

1912 lernte Agatha ihren ersten Mann kennen: Archibald Christie, Flieger beim Königlichen Fliegercorps. Beide wollten sofort heiraten, aber Agathas Mutter bestand darauf, zu warten, weil Archies Gehalt kaum für beide reichte. Doch der Erste Weltkrieg machte einen Strich durch die Planung. Weihnachten 1914, auf einem Dreitages-Urlaub in England, überredete Archie Agatha, sofort zu heiraten. So wurden sie am 25.12.1914 getraut. Den 2. Weihnachtstag verbrachte das Paar in Torquay bei Agathas Mutter und Schwester, die sich gerade vom ersten Schock über die spontane Heirat erholt hatten. Bald waren Agatha und Archie wieder getrennt: er an der Front und sie als Stationshilfe in einem Feldlazarett in Torquay. Was sie hier und später als Apothekerassistentin über Gifte lernte, konnte sie später gut für ihre zahlreichen Kriminalromane verwenden. Ihr erster Kriminalroman fällt in diese Zeit. Ihre Schwester Madge hatte sie einmal bei einem Gespräch über Kriminalgeschichten aufgefordert, selbst eine zu schreiben. Diese Idee ging ihr wieder durch den Kopf, als es ihr in der Apotheke langweilig wurde. Sie ersann einen Plot, eine Handlung mit möglichst vielen falschen Fährten für den potentiellen Leser “Der springende Punkt war, dass es jemand offensichtlich gewesen sein musste und man gleichzeitig aus irgendwelchem Grund feststellt, dass er es unmöglich gewesen sein kann. Aber in Wirklichkeit war er’s natürlich doch”. Ihre Charaktere erfand sie, wie sie es später auch noch praktizierte, durch die Beobachtung von alltäglichen Menschen, z. B. in der Straßenbahn. Für ihren Krimi brauchte sie noch einen Detektiv, er sollte möglichst exotisch sein. Sie erfand Hercule Poirot, einen Belgier. Viele Belgier waren damals vor den Deutschen nach England geflüchtet. Poirot war klug, doch sein Äußeres (klein, überkorrekt und steif gekleidet, üppiger Schnurrbart und eiförmiger Kopf) verleitete viele, ihn zu unterschätzen. Wegen seiner Fremdheit vertrauten “Papa Poirot” so manche, denen er im Laufe seiner Fälle begegnete, ihre Geheimnisse an, denn Engländer behandelten ihresgleichen anders als Ausländer. Und wenn sie dennoch versuchten, Poirot zu täuschen, er kam ihnen mit seinen kleinen grauen Zellen auf die Schliche. Seine Liebe für Details, die scheinbar im Widerspruch zu den Fakten stehen, für Methode und Ordnung sind seine Mittel, um ein Verbrechen aufzuklären, selten Spurensuchen am Tatort, nie Verfolgungsjagden. Agatha arbeitete nur dann und wann an dem Roman, schreib mit der Hand und tippte dann Kapitel für Kapitel auf einer alten Schreibmaschine. Als sie ungefähr die Hälfte geschafft hatte, wurde sie müde und ungeduldig. Ihre Mutter schlug ihr vor, den Roman in ihren Ferien im Moorland von Dartmoor zu Ende zu bringen. Am Vormittag schrieb sie, nachmittags ging sie spazieren und dachte sich den folgenden Teil des Buchs aus. Nachdem sie “The mysterious affair at Styles” (Das fehlende Glied in der Kette) an mehrere Verleger geschickt hatte, sandte sie ihn 1917 zu John Lane von The Bodley Head, wo er eine ganze Weile verschollen schien.

Agatha dachte auch bald nicht mehr daran. Ihr Mann kehrte aus dem Krieg heim, bekam einen Posten im Luftfahrtministerium in London. Agatha brachte kurze Zeit später ihre Tochter Rosalind in ihrem Elternhaus in Torquay zur Welt. 1919 wurde sie von John Lane zu einem Gespräch über the “Mysterious affair at Styles” gebeten. Nach einer Umschreibung des letzten Kapitels wurde das Buch 1920 in Amerika und 1921 in England veröffentlicht. Der nächste Roman wurde ein Spionagethriller. In “Ein gefährlicher Gegner” (The secret adversary) tritt zum ersten Mal das Ehepaar Tommy und Tuppence Beresford mit ihren detektivischen Fähigkeiten auf. Im gleichen Jahr folgte eine Sammlung von Poirot-Geschichten und ein weiterer Kriminalroman. Dann wurde Archibald Christie 1922 eine Reise durch das damalige Britische Weltreich angeboten. Zusammen mit anderen Mitarbeitern sollte er eine Ausstellung des British Empire vorbereiten. Seine Frau durfte ihn auf der Reise, die ein Jahr dauerte, begleiten.

Agatha war fasziniert von den fremden, exotischen Ländern, in denen bald viele ihrer Kriminalromane spielen sollten, noch mehr aber von den Einwohnern. In den fünf Jahren seit der Entstehung ihres ersten Kriminalromans veränderte sich Agatha Christies Einstellung zu ihrem Beruf: anfangs betrachtete sie das Schreiben als angenehmen Zeitvertreib, mit der Zeit wurde aber aus ihr eine Berufsschriftstellerin, die mit dem Schreiben ihren Lebensunterhalt verdiente. Damit veränderte sich auch ihr Verhältnis zu ihrem Verleger. In ihrer Autobiographie lässt sie durchklingen, dass sie sich von ihm ausgenutzt fühlte. Jedenfalls war sie froh, als sie die fünf Romane, zu denen sie sich verpflichtet hatte, abgeliefert hatte. Sie suchte sich zunächst einen Agenten, Edmund Cork, der das ganze Leben lang ihr Freund und Berater war. Er beriet sie auch in steuerlichen Fragen, denn das Finanzamt begann sich auch für sie zu interessieren. 1924 wechselte sie zum Verlag Collins. Der 1926 erschienene Roman “Alibi” (The murder of Roger Ackroyd) sorgte für eine Sensation: der Ich-Erzähler entpuppte sich am Ende des Buchs als der Mörder. Der Trick erforderte eine gewisse Geschicklichkeit in der Erzählperspektive und stieß nicht nur auf positives Echo. Viele erinnerten sich daran, als im Dezember desselben Jahres der Name “Christie” in allen Schlagzeilen stand. Einige Monate nach dem Tod ihrer Mutter gestand ihr Mann, dass er sich in Nancy Neele, die er vom Golfspielen kannte, verliebt habe. Agatha, die sich bereits in einer depressiven Stimmung befand, verschwand zehn Tage lang spurlos. Nur ihr Wagen wurde verlassen aufgefunden. Dann entdeckte man sie in einem Hotel, wo sie sich unter falschem Namen eingetragen hatte. Die Presse spekulierte über einen Werbetrick, um die Verkaufszahlen ihrer Romane zu steigern. Für Agatha Christie blieb diese Zeit ein dunkler Fleck, über den sie nicht gerne redete. Auch ihre Autobiographie verrät nicht, was sie in jenen Tagen fühlte und dachte. Der von ihr nach diesen Tagen konsultierte Psychologe attestierte einen Gedächtnisverlust. Über diese Episode im Leben der Agatha Christie verfasste Gwen Robyns den Roman “Agatha” (The mystery of Agatha Christie), der unnötigerweise auch noch verfilmt wurde (mit Timothy Dalton als Archibald und Vanessa Redgrave als Agatha Christie). Trost fand Agatha in dieser Zeit bei ihrem Rauhaardackel Peter. Überhaupt begleiteten Hunde sie bis zu ihrem Tode. Zu der psychischen trat jetzt auch noch eine finanzielle Krise. Sie sah sich nicht in der Lage, ein Buch zu schreiben. Schließlich stückelte sie aus zwölf Poirot-Geschichten, die sie in einer Zeitschrift veröffentlicht hatte, die “Großen Vier” (The big four) zusammen und unter großen Mühen verfaßte sie einen weiteren Roman.

1930 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Mary Westmacott ihren ersten Nicht-Kriminalroman “Singendes Glas”(Giant’s bread), in den auch viel Autobiographisches einfloss. Ursprünglich wollte sie auch ihre Kriminalromane unter einem Pseudonym erscheinen lassen, doch ihr Verleger glaubte zurecht, unter dem Namen “Agatha Christie” verkauften sie sich besser. Im Herbst 1928 reiste sie mit dem Orient-Express nach Bagdad. Er diente als Kulisse für ihren späteren Roman “Mord im Orient-Express” (Auch veröffentlicht als “Der rote Kimono”). In Ur sah sie Ausgrabungen des Archäologen-Ehepaars Woolley an. Dieses und andere Teilnehmer inspirierte sie zu dem späteren Roman “Mord in Mesopotamien”. In dasselbe Jahr fällt auch die Schöpfung ihres zweit-berühmtesten Detektivs: Miss Marple. Miss Marple ist eine scheinbar harmlose alte Jungfer, die gerne klatscht. Miss Marple würde das Wort “klatschen” natürlich energisch zurückweisen, sie interessiere sich vielmehr für das “menschliche Verhalten”, das in seinen Grundzügen ihrer Meinung nach stets gleich sei. Durch ihre Lebenserfahrung und Menschenkenntnis sowie ihre scharfe Beobachtungsgabe ist sie der Lösung immer etwas näher als die Inspektoren Craddock, Slack oder wie sie auch heißen. Viele Eigenschaften teilt Miss Marple mit Agathas Oma: sie erwartete vor allem das Schlechteste und meistens stellten sich ihre Vorahnungen als berechtigt heraus. Auch kaufte Miss Marple ebenso gerne in Army und Navy Kaufhäusern (z. B. in “Bertrams Hotel”) ein wie Agathas Oma. Wo wir gerade bei Vorbildern für Agatha Christies Romanfiguren sind: sie selbst ist das Spiegelbild von Ariadne Oliver, wie sie eine Kriminalschriftstellerin. Auch Mrs. Oliver kann ihren Detektiv, einen Finnen (!) nicht leiden. Und wie Agatha Christie isst Mrs. Oliver gerne Äpfel in der Badewanne.

Finanziell ging es Agatha Christie jetzt besser, sie kaufte sich ein Haus im Londoner Stadtteil Chelsea. Sie liebte es, Häuser zu kaufen und einzurichten. Gerne “verlieh” sie sie an Freunde. 1929 verlieh sie ihr Haus in Chelsea an die Woolleys, die sie ihrerseits einluden, kurz vor Ende der Ausgrabungssaison 1929/30nach Ur zu kommen und mit ihnen durch Syrien und Griechenland nach England zurückzureisen. In Ur war in dieser Ausgrabungssaison Max Mallowan, ein junger Archäologe, wieder dabei. Er bekam den Auftrag, der berühmte Schriftstellerin die Sehenswürdigkeiten auf dem Weg nach Bagdad zu zeigen, wo sich die Gruppe wiedertreffen wollte. Auf der Reise kam man sich näher und nach England zurückgekehrt, machte Max Agatha bald einen Heiratsantrag und nach langem Zögern, vor allem weil Max 15 Jahre jünger war, willigte sie ein. In den folgenden Jahren schrieb sie fleißig: jedes Jahr erschien ein Kriminalroman und etliche Kurzgeschichten entstanden. Viele wurden auf den Expeditionen geschrieben, die sie mit ihrem Mann unternahm. Inzwischen hatte sie schon viel von Archäologie gelernt. Ihre Erlebnisse bei den Ausgrabungen in Syrien schildert sie anschaulich in “Erinnerungen an glückliche Tage” (Come, tell me how you live), das sie unter ihrem neuen Namen “Mallowan” veröffentlichte. 1940 schreib sie “Vorhang” (Curtain), Hercule Poirots letzten Fall und “Ruhe unsanft” (Sleeping murder) mit Miss Marple. Beide Romane wurden erst kurz vor bzw. nach ihrem Tod veröffentlicht, da Agatha Christie beide als stille Reserve für unerwartete Fälle zurückbehalten wollte. Außerdem ist Curtain in der Tat Poirots letzter Fall, denn seine Schöpferin war seiner so überdrüssig, dass sie ihn sterben ließ. Da Poirot aber ihre Haupteinnahmequelle war, war es nötig, dass er bis zur Veröffentlichung von “Curtain” noch einige Fälle löste. Ihr Schaffensdrang wurde nur dadurch beeinträchtigt, daß die amerikanischen Steuerbehörden die Erlöse für den Verkauf ihrer Bücher in Amerika wegen angeblicher Steuerschulden zurückbehielten. Auch die britischen Steuerbehörden erhöhten den Druck auf sie. 1955 wurde deshalb die Agatha Christie Ltd. gegründet. Diese Aktiengesellschaft erwarb Agatha Christies Werke und zahlte ihr vom Verkaufserlös ein Gehalt, dass nicht mehr dem Spitzensteuersatz von über 90% unterlag.

1970 erschien zu ihrem 80. Geburtstag ihr 80. Buch (bei geschickter Zählung) “Passengers to Frankfurt”. Ein recht wirres Buch, das bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, um eine faschistische Geheimorganisation, die die Weltmacht anstrebt. Agathas Vertraute waren fast alle über das Buch bestürzt. Doch seine Autorin hatte den Nerv der Zeit getroffen und das Buch verkaufte sich unerwartet gut. 1971 erhielt sie von Königin Elizabeth den Titel “Dame Commander of the British Empire” (DBE). 1973/74 erschien ihr letzter Roman “Alter schützt vor Scharfsinn nicht” (Postern of fate”). Am 12. Januar 1976 starb Agatha Christie in ihrem Haus Winterbrook bei Oxford. 1977 wurde ihre Autobiographie “Meine gute alte Zeit” (Autobiography), die überwiegend in den Jahren 1950-65 entstanden war, veröffentlicht. Eine flüssig geschriebene, ehrliche Erinnerung an Dinge, die Agatha Christie wichtig gewesen sind, mit Schwerpunkt auf ihrer Kindheit. Ergänzend zu ihrer Autobiographie kann die Biographie von Janet Morgan herangezogen werden. Agatha Christies Tochter Rosalind bat Mrs. Morgan, eine autorisierte Biographie ihrer Mutter zu verfassen. Durch umfangreiches Quellenstudium und Befragung von Agathas Freuden entstand eine detaillierte Schilderung ihres Lebens. Die Zitate von Agatha Christie in diesem Aufsatz stammen übrigens aus diesem Buch. Der Erfolg ihrer Bücher geht auch nach ihrem Tod weiter. Nach Schätzungen wurden eine Milliarde ihrer Bücher auf Englisch und eine weitere Milliarde in 44 andere Sprachen übersetzt verkauft. Zahlreiche Filme, gerade in jüngster Zeit, wurden nach ihren Romanen gedreht. Dabei liebte Agatha Christie dieses Medium nicht. Das Theater lag ihr mehr am Herzen. Zahlreiche Romane hat sie selbst für das Theater umgeschrieben, bei den Produktionen war sie mit Begeisterung dabei. Ihr mit Abstand erfolgreichstes Stück wurde “Die Mausefalle”, das seit über 37 Jahren täglich in London gespielt wird. Queen Mary, ein Fan der Christie, hatte sich von der BBC zu ihrem achtzigsten Geburtstag ein Hörspiel, geschrieben von Agatha Christie gewünscht. Dieses halbstündige Hörspiel arbeite sie später zu einem Theaterstück um. “Zeugin der Anklage” war auch ein erfolgreiches Theaterstück, das in seiner Verfilmung mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle zu einem Klassiker der Filmgeschichte wurde. 1982 wurde es noch einmal verfilmt. Von den vier Miss Marple Verfilmungen mit Margaret Rutherford war sie anfangs nur enttäuscht, später entsetzt. Hatte man sich bei “Sechzehn Uhr fünfzig ab Paddington” (Murder, she said) im wesentlichen noch an die Romanvorlage gehalten, so ersetzte man bei “Der Wachsblumenstrauß” und “Vier Frauen und ein Mord” einfach Poirot durch Miss Marple. Schließlich basiert “Murder ahoi!” auf überhaupt keinem Roman von ihr. Das erzürnte sie noch mehr als die vorangegangenen Änderungen. Als die Verfilmung von “Mord im Orient Express” geplant war, schrieb sie deshalb: “… wenn ich nun zulasse, dass man es in eine übermütige Posse verwandelt, in die Miss Marple – womöglich noch als Lokomotivführerin – eingebaut wird, mag dies wohl ein großer Spaß sein, aber es würde auch ziemlich meinem Ruf schaden”. Wie wohltuend heben sich doch davon die Miss Marple-Filme der letzten Jahre ab. Joan Hickson wird bereits als Reinkarnation der Miss Marple gesehen. Als derjenige Schauspieler, der am nächsten den Typ des Poirot getroffen hat, kann Peter Ustinov angesehen werden. Der britische Schauspieler schlüpfte sechsmal in diese Rolle. Wenngleich er in der Darstellung der Lächerlichkeit Poirots gelegentlich überzog und vom Aussehen ihm nicht so nahe kommt, überzeugt Ustinov in dieser Rolle doch. Größten Wert auf eine der Vorlage angemessene Umsetzung legte man bei einer Verfilmung mehrerer Kurzgeschichten und des Romans “Peril at end house” (Das Haus an der Düne) mit David Suchet als Hercule Poirot. Die Serie lief in England unter dem Titel “Agatha Christies Poirot”.

Was ist nun der Schlüssel zum Erfolg Agatha Christies Romanen? Das Strickmuster des Klassischen Kriminalromans ist fast immer gleich: der Mord geschieht am Beginn der Handlung, nachdem der Leser mit Ort, Zeit und Personen vertraut gemacht worden ist. Der Kreis der Verdächtigen darf nicht zu groß sein, deshalb sollte der Ort auch möglichst abgeschlossen sein (z. B. eine einsame Insel in “Zehn kleine Negerlein” oder ein Schlafwagen in “Mord im Orient Express”). Im nun folgenden Gang der Aufklärung werden die Verdächtigen verhört, Spuren und Indizien entdeckt. Am Ende werden meist alle Verdächtigen zusammengerufen und der Meisterdetektiv führt den Schuldigen vor, nachdem er erläutert hat, wie und warum er zu dieser Schlussfolgerung gelangt ist. Die Kunst der Krimiautorin besteht darin, in den ca. 170 Seiten der Handlung falsche Fährten in den Vordergrund, wichtige Hinweise auf den Täter in den Hintergrund zu rücken. Es gilt als Ehrensache für Krimiautoren dem Leser alle notwendigen Fakten an die Hand zu geben. Captain Hastings, der “Watson” in den Poirot-Geschichten, wirft – quasi stellvertretend für den Leser – Poirot Geheimniskrämerei vor, er sei “eine menschliche Auster. Doch Poirot entgegnet – stellvertretend für seine Schöpferin – er verheimliche ihm keine Fakten, aber deren Interpretierung überlasse er ihm. Das Spiel mit Hinweisen, scheinbaren Widersprüchen macht – wie beim Puzzlespielen (mit dem Poirot einmal das Lösen eines Falls vergleicht) die Lektüre der Christie-Romane so interessant. Sie ist Meisterin der “Cozy Murders”, eines Mordes in gemütlicher, anheimelnder Atmosphäre. Ihr liegt es fern in ihren Kriminalromanen Gesellschaftskritik zu üben, ihre Täter sind nicht Opfer von gesellschaftlichen Missständen. In ihren Romanen hat irgend jemand die Spielregeln verletzt; nun gilt es jenen zu finden und ihn zu hängen bzw. später ins Gefängnis zu bringen. In ihren Grundüberzeugungen konservativ eingestellt, plädierte sie für die Todesstrafe. In ihrer Autobiographie schreibt sie: “Ich versage es mir, über Mörder ein Urteil zu fällen – aber sie sind ein Übel für die Gemeinschaft, sie reißen alles an sich und säen Hass. Ich will glauben, dass sie so geschaffen wurden, dass sie mit einem Geburtsfehler zur Welt gekommen sind und vielleicht sogar unser Mitleid verdienen; trotzdem darf man ihn nicht schonen […] Es gilt die Unschuldigen zu schützen”. Ihr Erfolgsrezept kam in den 30er, 40er, 50er Jahren an und es kommt noch heute an. Seit einigen Jahren finden auf Schlössern und in Landhotels sogenannte “Mörder-Wochenenden” statt, bei denen ihre Kriminalfälle nachgespielt werden. Zu ihrem 100. Geburtstag war der Rummel um ihre Person besonders groß werden. Ihre Erben hatten erlaubt, dass zum ersten Mal der Name Christie kommerziell verwendet werden darf. So erhielten Teetassen, Vasen, eine neue Rosensorte und sogar Büroklammern ihren Namen. Der Gefeierten selbst hätte das kaum gefallen, mochte sie doch nie mit Mittelpunkt stehen und wusste auf Lobensworte nie die rechte Antwort.