Bodies from the Library

Am Donnerstag, 18. Juni, geht es für mich wieder ins UK. Diesmal ist der Abflug so spät wie noch nie. Um 22 Uhr lande ich erst in London Southend. Mit einem Nahverkehrzug fahre ich nach London Liverpool und um kurz vor Mitternacht bin ich erst bei Norman in Queen’s Park.

Am nächsten Tag sehe ich mir die Sonderausstellung „800 Jahre Magna Charta“ in der British Library. Die Ausstellung bereitet das Thema anschaulich und ausführlich auf: die Situation, die zur Magna Charta führte: King John „Lackland“ (der den großen Freiheitsbrief unterzeichnen musste), seine erfolglose Politik und sein Charakter und warum die Magna Charta, obwohl der König mit Unterstützung des Papstes sie drei Monate nach Unterzeichnung widerrief, diese Bedeutung erlangte. Dabei kommt auch in einem Videoclip Bill Clinton zu Wort. Das ist nicht ohne Ironie, da Thomas Kielinger in seinem ausgezeichneten Artikel in der Welt „Magna Charta – als die Macht verlieren lernte“ gleich zu Anfang daran erinnerte, dass Clinton den Prozess mit Paula Jones, die ihn der sexuellen Belästigung bezichtigte, mit dem Hinweis abzublocken versuchte, als Präsident sei er zu beschäftigt dafür. Richterin Susan Webber Wright widersprach dem ausdrücklich in und erinnerte daran, dass in der Tradition von Magna Charta niemand über dem Gesetz stehe und gab den Rechtsweg frei.
Zum Schluss franst die Ausstellung aber etwas aus: Magna Charta in den ehemaligen Kolonien, Magna Charta und Frauen- und Rassengleichberechtigung. Die ausgestellten zwei Exemplare der Magna Charta sind eher unspektakulär. Eines davon, das einzige Exemplar mit Siegel, wurde durch Feuer und vor allem eine unsachgemäße Restaurierung schwer beschädigt.

Am Abend sehe ich mir noch einmal „Billy Elliot“ im Victoria Palace Theatre an. Bereits im April hatte ich mir das Musical mit Brodie Donoghue in der Titelrolle angesehen. Die Aufführung hatte mich sehr beeindruckt, allen voran die Leistung des 12-jährigen Hauptdarstellers, der drei Stunden schauspielernd, tanzend und steppend unglaublich präsent ist. An diesem Abend steht Bradley Perret auf der Bühne. Bradley lebt mit seiner Familie in Südfrankreich und ist wahrscheinlich zweisprachig aufgewachsen. Der Language Coach hat ganze Arbeit geleistet. Für mich klingt sein Northern Accent authentisch. Im Gegensatz zu Brodie, der mit Turnem begann und dann zum Ballet wechselte, kommt Bradley vom Street dance. Daher sieht seine Performance vom „Angry dance“ und „Electricity“ etwas anders aus. Später erfahre ich, dass die Nummern den Schwerpunkten des jugendlichen Darstellers entsprechend angepasst werden. Inzwischen hat Bradley sein Engagement im Victoria Palace Theatre aufgegeben und die Staffel an einen neuen Billy weitergegeben, an Nat Sweeney aus Birmingham.

Am Samstagmorgen mache ich mit Norman zum Bahnhof St. Pancras auf. Von dort ist es es nicht weit bis zur British Library.

Nach der sehr gut organisierten Registrierung eröffnet der Präsident des Detection Club Simon Brett humorig die Konferenz und verliest zur Einstimmung das fiktive Testament von Agatha Christie.

Daran schließt sich ein Gespräch zwischen dem künftigen Präsident des Detection Club Martin Edwards und Jake Kerridge an. Edwards hat gerade ein Buch über die Mitglieder des Detection Clubs geschrieben, Kerridge hat im Daily Telegraph eine Kolumne über Krimiliteratur. Gemeinsam sprechen sie darüber, wann das Goldene Zeitalter war und was es ausmachte.

Kenntnisreich referiert Barry A.Pike anschließend über Dorothy L. Sayers und Margery Allingham. Über letztere hat er ein Buch geschrieben.

Vor der Kaffeepause sprechen dann Simon Brett und Martin Edwards über die gemeinsamen Buchprojekte des Detection Club wie „The floating Admiral“, “ Six against the Yard“ und „Ask a policeman“. Von den Tantiemen konnten die Mitglieder wunderbare Dinner veranstalten, verrät Brett. Und sie wollen ein neues Buch zusammen schreiben: „The sinking Admiral“.

Nach der Kaffeepause, bei der es frischen Kaffee und sehr leckere Kekse gab, referierte Richard Reynolds über Kriminalgeschichten, die in Oxford oder Cambridge spielen. Von der Anzahl liegt Oxford vorne. Die Liste mit den „The Oxbridge Murders“ ist inzwischen auf der Seite von „Bodies from the Library“ online.

David Brawn von HarperCollins und Rob Davies diskutierten im anschließenden Panel darüber, wie man heute Krimis aus dem Golden Age verlegt. Problematisch wird es heute im Zeitalter der Political correctness, wenn in den fraglichen Büchern Formulierungen oder Darstellungen enthalten sind, die heute als rassistisch oder diskriminierend verstanden werden könnten. Zum Beispiel das „N-Word“. Verändert man den Text oder kommentiert man die Passage oder verzichtet man unter Umständen ganz auf die Veröffentlichung?

Nach der Lunchbreak wurde ein Hörspiel von John Dickson Carr vorgespielt, das man mit einem Augenzwinkern verstehen sollte.

Tony Medawar, Christie-Freunden als Herausgeber der Anthologie „While the light lasts“ bekannt, referierte anschließend über „Looked room mysteries“, in denen also das Opfer ermordet in einem abgeschlossenen Raum gefunden wird und scheinbar niemand die Gelegenheit hatte, unbemerkt in den Raum zu gelangen. Beispiele aus Christies Werk wären „Hercule Poirot’s Christmas“ und „Murder in Mesopotamia“.

Dolores Gordon-Smith sprach im anschließenden Vortrag über Freeman Wills Crofts. Der irische Eisenbahn-Ingenieur war auf Umwegen zum Schreiben von Kriminalromanen gekommen. Seine Schilderungen der Mordmethoden sind wissenschaftlich genau, seine Charakterisierungen der Personen bleiben dagegen eher blass.

Nach der Kaffeepause schildert Dr John Curran in seinem Vortrag: „Agatha Christie: Some influences“ über Einflüsse anderer Schriftsteller auf Agatha Christie und umgekehrt.

Nach dem abschießenden Vortrag „Taking the Golden Age into the 21st Century“ von L.C. Tyler kommen alle Redner noch einmal auf das Podium und dürfen vorschlagen, welche Werke sie reif für einen Reprint halten.

Nach dem guten Feedback in Blogs und auf der Konferenz selber, ist es nicht verwunderlich, dass im nächsten Jahr wieder eine Konferenz „Bodies from the Library“ stattfinden wird.

Nach einem netten Essen und Get-together im Premier Inn um die Ecke geht der Tag zu Ende.

Am nächsten Tag (Sonntag) fahre ich wieder nach Southend, wo diesmal am Nachmittag mein Rückflug startet.

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