Potter-Mania, vierter Teil
Ein Jugendbuchheld verzaubert die Welt: Harry Potter. Am 14. Oktober erscheint in Deutschland der vierte Band. Dorle Neumann traf den Übersetzer Klaus Fritz.
Mehr als 90 Tage hat Klaus Fritz an seinem Schreibtisch geackert. Drei Monate lang gönnte sich der Schwabe keinen freien Tag, las sich Kapitel für Kapitel durch 636 Seiten eines Buches, dem vor allem zahllose deutsche Jugendliche entgegenfiebern. Klaus Fritz ist der Übersetzer des Weltbestsellers „Harry Potter and the goblet of fire“, das am nächsten Samstag als „Harry Potter und der Feuerkelch“ endlich auch in Deutschland verkauft wird. Startauflage: eine Million Exemplare.
„Ich habe versucht, zu vergessen, welches Buch da vor mir liegt“, erklärt Klaus Fritz, der jegliche Popularität scheut. Aber ab und zu überfiel ihn doch der Gedanke an die hohen Erwartungen der künftigen Leser.“ Dann habe ich nur noch gedacht: was machst du hier eigentlich …“
Als er vor Jahren den ersten Band der Geschichte vom ebenso schüchternen wie mutigen Harry Potter und dessen phantastischen Abenteuern in der Zauberschule Hogwarts übersetzte, konnte er noch in Ruhe und ohne Zeitdruck arbeiten. Weder der Aufschrei der Fans nach einem neuen Potter-Roman noch die internationale Marketingmaschine saßen in ihm im Nacken. „Kein Vergleich zu dem Aufstand jetzt“, meint er amüsiert. Und schwärmt: „Es ist eine der besten Aufgaben, die man sich vorstellen kann. Die Sprache ist klar, die Personen wachsen einem ans Herz.“
Seine Arbeit wird zweifellos durch die „generalstabsmäßige“ Arbeit der Potter-Verfasserin Joanne Kathleen Rowling erleichtert. „Sie hat detaillierte Psychogramme ihrer Hauptperson Harry, seiner Freunde Ron und Termine, der Schüler und Lehrer auf Hogwarts und natürlich auch des Herrn der Finsternis, Lord Voldemort, erstellt.“ Das verhindert logische Brüche. „Die Vielschichtigkeit ihrer Figuren ist sicherlich auch ein wichtiger Grund für das Phänomen, dass ein Jugendbuch auch ein Erfolg bei Erwachsenen hat“, erläutert Olaf Kutzmutz von der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, die Ende September ein Potter-Symposium veranstaltet hat. Für Kutzmutz ist Harry eine „Mischung aus Held und Verlierer“. Deshalb falle es auch nicht schwer, sich mit ihm zu identifizieren. Aber auch die Eskalation der Gewalt zwischen Harry und Lord Voldemort geht unter die Haut. Eine Gefahr für die jugendlichen Leser? Gundel Mattenklott von der Hochschule der Künste in Berlin hält auf dem Treffen in Wolfenbüttel dagegen, dass schon die Grimmschen Märchen voller Grausamkeiten sind. Und Olaf Kutzmutz gibt zu bedenken: „Die Jugendlichen reden ja mit anderen über die Bücher, auch über die Kampfszenen. Das bietet ein Ventil.“
Und er nimmt auch die britische Autorin Joanne K. Rowling gegen jeden Vorwurf in Schutz, die Erfolge von Harry & Co. seien nur Konsequenz einer gigantischen Marketingstrategie. „Die Bücher sind einfach glaubwürdig, und deshalb wurden sie als Geheimtipp per Mund zu Mundpropaganda empfohlen.“ Das Datum des internationalen Durchbruchs kann Kutzmutz auch genau nennen: Am 4.Oktober 1999 erschien Harry Potter auf der Titelseite des renommierten US-Magazins „Time“. Von da an explodierten die Verkaufszahlen in den USA, wurden auch die europäischen Medien neugierig auf die Geschichten, die beim Espresso in Edinburgher Cafes entstanden.
Denn die Story der arbeitslosen, allein erziehenden Joanne Rowling hat selbst märchenhaften Charakter. Sie schreibt das erste Potter-Buch 1994 auf Notizblocks in den Cafes, weil sie zu Hause die Heizkosten sparen will. Neben ihr schlummert Töchterchen Jessica im Kinderwagen. Nach einem Verlag sucht sie zunächst vergebens, erst das Haus Bloomsbury nimmt sie mit den 320 Seiten über „Harry Potter und der Stein der Weisen“ unter Vertrag. Weil man aber befürchtet, dass das „Jungenbuch“ sich nicht verkauft, wenn eine weiblicher Autor auf dem Cover steht, erscheint Harry 1 nur unter den Initialen J. K. Rowling. Inzwischen ist das einstige Aschenputtel, das auf Sozialhilfe angewiesen war, dank der Millionenauflage seiner Bücher zu einer der reichsten Frauen Großbritanniens geworben – und jeder gönnt es ihr.
Während die Experten Wolfenbüttel ganz unbefangen wie die Kinder darüber spekulieren, ob der große Zauberer Dumbledore als Leiter von Hogwarts und Mentor von Harry bis zum siebten und damit letzten Band durchhält oder Ron Weasleys Freundschaft zu Harry nicht doch in die Brüche geht, hat Joanne K. Rowling die ersten 20 Seiten des fünften Bandes schon geschrieben. Klaus Fritz wird in der Nacht zum 14. Oktober in einer Berliner Buchhandlung aus dem vierten Band vorlesen. Auf die Reaktion der Zuhörer ist er schon gespannt. Eine Woche Urlaub hat er sich zwischen der Übersetzung und dem Erscheinen des Buches gegönnt. In England? „Nein, ein bisschen Abstand musste sein, in Frankreich.“
Hat er jetzt die Nase voll von Harry?“ Nein, auf Band fünf freue ich mich schon …“
Die Bundesakademie für kulturelle Bildung (Postfach 1140, 38281 Wolfenbüttel) wird im Dezember eine Dokumentation des Harry-Potter-Symposiums veröffentlichen, 16 DM.
Westfälische Nachrichten
Antworten