Christie Day in Torquay

Mit dem Zug fahre ich zunächst von Brüssel Central nach Brüssel Midi. Eines muss man feststellen: der Öffentliche Nahverkehr ist in Belgien wirklich vorbildlich. Über 1.000 Züge verkehren zum Beispiel zwischen den beiden Bahnhöfen in Brüssel. Die Verantwortlichen der Deutschen Bahn und die Verkehrspolitiker sollten eine Studienfahrt ins Nachbarland machen.
Mit dem Eurostar fahre ich nach London St. Pancras. Von dort muss ich mit der U-Bahn nach London Paddington, um dort am frühen Nachmittag nach Torquay zu fahren. Am Freitagnachmittag ist der Zug natürlich proppenvoll, noch dazu kommt, dass zwei Wagons fehlen. Die britischen Bahnen sind noch schlechter aufgestellt als die deutschen. In Exeter soll ich umsteigen, in einen Bummelzug, der nur aus zwei übervollen Wagons besteht – noch dazu mit Schülern auf dem Nachhauseweg. Warum mich der Fahrplan über Exeter fahren lässt und nicht wie sonst über Newton Abbot, bleibt ein Geheimnis von Great Western Railways.

Schließlich komme ich doch noch am späten Nachmittag – oder frühen Abend in Torquay an. Im Derwent Hotel erwartet mich eine Enttäuschung. Das Hotelrestaurant war mir von früheren Aufenthalten in Torquay in guter Erinnerung geblieben. Aber mein Zimmer entspricht nicht europäischen Standards. Es ist so winzig, dass im „Badezimmer“ kein Platz mehr für das Waschbecken ist. Das hat man auf dem Schreibtisch im eigentlichen Zimmer angebracht. Ständig muss ich in Folge den Schreibtisch abwischen, Rasieren ist förmlich unmöglich, da der Spiegel rechts neben dem Becken hängt. Das Gebäude ist total verbaut, mit dem Lift erreicht man nicht jede Etage. An einen Alarm mag man besser nicht denken: wie die vielen alten Gäste sich in den engen Treppenhäuser bewegen soll, ist unvorstellbar.

Der Platzanweiser beim Frühstück am nächsten Tag hätte „Fawlty Towers“ entsprungen sein können. „Good moring. How are you?“, begrüßt er ihm bekannte Gäste „Fine and how are you?“. „I am always fine, even if I’m not.“. Und der nächste Gast fragt wo er heute sitzen würde. „Wo saßen Sie gestern?“. Der Gast deutet auf meinen Platz. „Aber heute nicht“, sagt der Spaßmacher. Wieder kommen Gäste und wollen wissen, wo sie sitzen. Wo sie gestern schon gesessen hätten, bekommen sie zur Antwort. Sie würden immer dort sitzen – bis zu ihrem Lebensende.

Kein Christie-Geburtstag ohne Besuch in Greenway. So fahre mit dem Bus zunächst nach Paington. Dort nehme ich den Stream Train bis Greenway Halt und dann geht es auf verschlungenen, zum Teil abschüssigen Wegen nach Greenway. In Greenway ist heute eine Fete angesagt. In einem Zelt gibt es leckere Cup Cakes.
Ich schließe mich Christie-Freund Mike an und fahre mit zwei weiteren Christie-Fans aus den USA und Neuseeland nach Churston. Wir fotografieren den Bahnhof (ein Schauplatz der ABC murders) und fahren zur Kirche in Churston, in der das Christie Window hängt, das Agatha Christie der Gemeinde schenkte und besuchen auf dem Friedhof das Grab ihrer Tochter Rosalind. Dann fahren wir zurück nach Torquay und werfen ein Blick in Heathcliff House, heute eine Bed and Breakfast Pension, früher das Pfarrhaus in der Nähe von Ashfield, in dem die junge Agatha Miller häufiger zum Tee war.

Um 18 Uhr sind wir dann wieder in Paignton, zur szenischen Lesung von „The lie“, von Julius Green inszeniert. Das Stück, vor ein paar Jahren wiederentdeckt im Christie Archiv von Julius Green, ist bislang unaufgeführt gewesen. Es ist ein ungewöhnliches Christie-Werk, da es kein Kriminalfall ist, sondern eine Dreiecksgeschichte um eine untreue Ehefrau, ihren Mann und ihre Schwester. Das Stück sorgt später für einigen Diskussionsstoff: Würde man für seine Schwester den Schwager belügen? Die Damen würden es eher tun als die Männer in der Runde.

Auch Jared Cade, Autor von „Agatha Christie and the eleven missing days“ ist bei der Aufführung und am Christie Day im Museum dabei. Ich sitze beim Dinner im Grand neben ihm.

Der „Spaßmacher“ ist am nächsten Morgen nicht der Platzanweiser beim Frühstück. Und ich sitze auch an einem anderen Platz. Nach dem Frühstück mache ich mich zum Museum, dem Veranstaltungsort vom Christie Day, den John Curran und seine Helferinnen in Zusammenarbeit mit dem Museum organisiert haben, auf.

Zum Christie Day sind circa 150 Teilnehmer gekommen. Das Programm besteht aus drei Strängen mit einem gemeinsamen Anfang und Ausklang. Den ganzen Tag über laufen rare Filme (wie „Murder by the book“, „the red signal“ oder „Lord Edgware dies“ aus dem Jahr 1934). Parallel dazu laufen Vorträge von unterschiedlichen Referenten zu ganz unterschiedlichen Themen. Julius Green referiert über Agatha Christies Schaffen – vor allem ihren Stücken – während des Zweiten Weltkrieges (der Vortrag wird als Aufsatz in dem Buch „Agatha Christie goes to war“ erscheinen). Mark Aldridge berichtet sachkundig über die Adaptionen von Christie-Werken durch die BBC, insbesondere der Miss-Marple-Reihe mit Joan Hickson. Keith Manley, ein Bibliothekar, beschäftigt sich mit den Büchersammlungen von Agatha Christie und ihrer Familie, insbesondere auf Greenway, die er für den National Trust katalogisierte. Tony Medawar erzählt von seinen Arbeiten in verschiedenen Christie-Archiven. Ruth Brompton-Charlesworth stellt die Gärten der Queen of Crime (eine leidenschaftliche Gärtnerin) vor. Als dritte Auswahlmöglichkeit werden verschiedene Hörspiele den ganzen Tag über abgespielt. Touren durch die Christie-Galerie (mit den Originalkostümen von Joan Hickson als Miss Marple und dem Mobiliar aus Poirots Wohnung aus der Serie mit David Suchet) und Buchsignierungen runden den perfekten Christie-Tag ab. Mittags gibt es eine Lunch-Box mit vielen Köstlichkeiten. Als Abschluss der Veranstaltung hat John Curran ein Live-Hörspiel von „The rats“ (aus Christies „The rule of three“) mit sehr guten Schauspielern organisiert.

Das Frühstück nehme ich am nächsten Morgen zum frühst möglichen Zeitpunkt (8 Uhr) ein. Dann geht es mit Koffer zum Busbahnhof und dem National Express nach London Heathrow. Der Eurowings Flieger bringt mich pünktlich zum Flughafen Düsseldorf. Hier verlässt mich aber mein Glück. Zwei der drei Anzeigetafeln am Bahnhof sind ausgefallen, daher werden nur die späteren Züge angezeigt. Da ich auch noch eine Fahrkarte brauche, begebe ich mich ins Reisezentrum, dass überraschenderweise noch geöffnet ist. Ich frage nach dem nächsten Zug nach Münster und bekomme zur Antwort der Zug um 21.13 Uhr. Ich frage nach, ob der Zug wirklich fahren würde, da in der App steht „fällt aus“. Der DB-Mitarbeiter schaut (diesmal richtig) auf seinen Bildschirm: „Stimmt, der fällt aus.“ Ich frage, ob ich dann den Zug um 21.02 Uhr nach Hamm nehmen und dort umsteigen soll, was mir bestätigt wird und mir der unsinnige Hinweis gegeben wird, ich soll mit dem Abstempeln des Tickets bis kurz vor der Abfahrt warten, weil es nur zwei Stunden gültig sei. Da die Fahrt bis Hamm selbst mit der 20-minütigen Verspätung, die wir uns unterwegs einfangen, deutlich unterhalb der zwei Stunden bleibt, kann ich das Ticket auch sofort abstempeln. Beim Herausgehen höre ich den Mitarbeiter noch zu seinem Kollegen sagen: „Murat, wir haben schon drei Leute zu dem Zug geschickt, der nicht kommt.“ Durch die Verspätung verpasse ich natürlich meinen Anschluss in Hamm und bin so erst kurz vor Mitternacht („Towards zero“) daheim.

Die Fotos zu meinem Besuch in Torquay in meinem Fotoalbum

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