Zwei nächtliche Alarme und ein Hauptgewinn

Kurz nach drei Uhr in der Nacht ertönt im Hotel ein Feueralarm. Als ich zur Rezeption heruntergehe – was die wenigsten tun – ist nach einer Weile von einem „Leak“ die Rede. Was das zu bedeuten hat, wird eine Stunde später, als – nachdem ich gerade wieder eingeschlafen war – noch einmal der Alarm ertönt. Ein Gast, der von der Rezeption heraufkommt, berichtet, ein Wasserrohr sei geplatzt und Wasser sei in die Elektrik des Feueralarms eingedrungen. Am Nachmittag ertönt noch einmal kurz der Alarm, da er offenbar erst nach Reparatur des Wasserrohrs wieder eingeschaltet wurde.

Ziemlich gerädert von der Nacht besuche ich am Vormittag All Saints, wo in einer Flower Show Christie-Motive mit mit Pflanzen dargestellt werden. Mittags gönne ich mir einen Christie High Team mit Scone und Miss Marples Seed Cake (aus „Betram’s Hotel“). Am Nachmittag gibt es eine Panel Discussion mit Mathew Prichard und „Mystery Guest“ im Grand Hotel. Wer der Mystery Guest ist, ist ein offenes Geheimnis. Es ist natürlich Sophie Hannah, die einen neuen Poirot-Roman schreiben soll. Die Diskussionrunde wird geleitet von John Curran, weiterer Gast ist David Brawn von HarperCollins. John Curran fragt Mathew Prichard zunächst, warum ausgerechnet ein neuer Poirot? Prichard antwortet ausschweifend und umständlich, die Idee sei bislang immer verworfen worden. Nun sei aber, nachdem mit David Suchet alle Poirot-Geschichten über 20 Jahre lang vollständig verfilmt wurden, die Zeit reif für etwas Neues. Allerdings hätte man nicht so recht gewusst, wer wohl in der Lage sei, einen neuen Poirot-Roman zu schreiben. „Zufällig“ habe HarperCollins über den Agenten von Sophie Hannah erfahren, dass diese daran interessiert sei, einen Poirot-Roman zu verfassen. Und bei einem Lunch mit Hannah habe die Chemie gestimmt.

David Brawn berichtet, das HarperCollins fortlaufend Markforschungen betreibe. Agatha Christie verkaufe sich weiterhin gut. Aber bei Teenagern will man ein Desinteresse festgestellt haben und befürchte, dass diese Generation möglicherweise nicht rechtzeitig animiert würde, Christie zu lesen.

Hannahs Darstellung der Genese des Projekts weicht etwas von der Darstellung von Prichard ab. Ihr Agent habe ihr gesagt, er habe bei einem Lunch mit einem Mitarbeiter von HarperCollins gesagt, sie sei daran interessiert, einen Poirot zu schreiben. „You did what?“. Zufällig fiel ihr nach dem Gespräch ein „Wunderbarer Plot“ wieder ein, den sie schon lange in der Hinterhand hatte, aber für ihre zeitgenössischen Geschichten bisher nicht verwendet konnte.

Durch die Fragen aus dem Publikum wird deutlich, dass Poirot der einzige Christie-Charakter sein wird, der im neuen Roman verwendet wird. Die Geschichte spielt Ende der 1920er Jahre des vorherigen Jahrhundert, erzählt wird sie von einer Figur, die Poirot trifft. Hannah will nicht versuchen, den Stil von Agatha Christie zu kopieren. Die Geschichte spielt nicht unbedingt in Devon. Der Umfang des Buches soll eher der Länge von Christie-Romanen und nicht dem aktueller Kriminalromanen entsprechen, die laut Curran meistens viel zu lang sind. Hannah habe schon einen Titel im Sinne, der sei aber noch nicht endgültig abgestimmt.

Wenn durch den neuen Poirot vor allem eine jungen Generation angesprochen werden soll, wie soll das erreicht werden, wenn die Geschichte in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts spielt, frage ich. Es komme nicht unbedingt darauf an, eine aktuelle Geschichte zu verkaufen, sondern sei es wichtig, mal wieder etwas Neues im Regal zu haben, lautet die Antwort. Hmm. Als John Curran Brawn zum Abschluss befragt, was es demnächst Neues von Christie bei HarperCollins gibt, weist er auf die Neuauflage von „The mysterious affair at Styles“ hin, die diesmal das letzte Kapitel in der ursprünglichen Fassung im Anhang (bereits abgedruckt in „Murder in the Making“ von John Curran) und ein Vorwort von Curran enthält. Es sei ja das Wunderbare bei Agatha Christie, dass man ständig etwas Neues herausbringen könne (!).

Die Meinung im Publikum ist nach der Veranstaltung gespalten. Einige sind dem Projekt gegenüber aufgeschlossen und vertrauen, dass es bei diesem einen Roman bleiben soll. Andere sind skeptisch bis ablehnend.

Der Abend wird abgerundet durch das „Literary Dinner“ mit Val McDermid. Nach dem Dinner, der ok, aber auch nicht mehr ist, hält die Gastrednerin einen Vortrag, wie Agatha Christie ihr Leben schon als Kind beeinflusst hatte. In ihrer schottischen Heimat hatte sie wenig zu lesen, vor allem weil die Bibliothek in den Ferien geschlossen war. So fiel ihr mit 9 Jahren im Haus ihrer Großeltern „Murder in the vicarage“ in die Hände, das sie sofort faszinierte und jedes Jahr in den Ferien immer wieder las. Sie wollte mehr von Christie und so „borgte“ sie sich den Bibliotheksausweis ihrer Mutter und erzählte in der Bibliothek, ihre Mutter sei krank und habe sie geschickt, einen Christie-Roman auszuleihen. Selber durfte sie nämlich nicht in die Erwachsenen-Abteilung. Das ging so über die nächsten Wochen und Monate weiter, bis sie alle Bücher gelesen hatte. Doch irgendwann fallen alte Sünden auf einen zurück. Als sie später bei einer Veranstaltung mit ihrer Mutter war, traf sie auch auf eben jene Bibliothekare, die sie in ihrer Jugend für „ancient“ gehalten habe, in Wirklichkeit damals aber um 20 Jahre waren. Diese waren ganz erstaunt, dass ihre Mutter noch lebe, wo sie doch früher immer so krank gewesen sei. Das nun wieder wunderte McDermids Mutter …
Am Ende des kurzweiligen Vortrages gibt es noch eine Verlosung und ausnahmsweise habe ich mal Glück und gewinne den Special Price: fünf Romane von McDermid einschließlich des neuen „Cross and burn“.

Fotos von der Flower Show mit Christie Motiven sowie zu Mathew Prichard and Mystery Guest und vom Literary Dinner mit Val McDermid im meiner Fotogalerie.

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