Der mysteriöse Christie Mystery Day im Torquay Museum

Heute – an Agatha Christies Geburtstag – ist der Höhepunkt des Festivals: der „Christie Mystery Day“ im Torquay Museum, organisiert von John Curran und seinen Helferinnen. Wenn John Curran ein Christie Event in die Hand nimmt, kann nichts schiefgehen. Allerdings liebt John seine Geheimnisse: das Programm wird erst am Tag selber veröffentlicht.

Da die Blöcke (Filme, Hörspiele und Vorträge) parallel laufen, hat die Geheimniskrämerei auch seine Nachteile: vorherige Planung ist nicht möglich und man muss sich recht spontan seinen Plan für den Tag zurecht legen.

Zunächst aber ermordet John Curran fast Museumsleiter Carl, weil dieser mit seiner überlangen Begrüßung und Einführung, den Zeitplan des Tages über den Haufen zu werfen droht.

Meine erste Entscheidung David Brawns Vortrag „Why don’t we? – 25 years as Agatha Christies’s Publisher“ ist gleich ein Volltreffer. David ist seit Mitte der 1980er Jahre bei Haprer-Collins zuständig für Agatha Christie und andere Autoren, die eines gemeinsam haben: sie sind bereits tot (bis auf eine Ausnahme). Der Vortag bietet einen vorzüglichen Einblick in die Verlagswelt und das Marketing. Wenn ein Autor etwas Neues veröffentlicht, so David, fördert das auch die Verkaufszahlen seinen früheren Veröffentlichungen. Stirbt ein bekannter Autor, verkaufen sich für einen gewissen Zeitrahmen sämtliche Werke sehr gut. Spätestens nach zehn Jahren lässt das Interesse aber rapide nach. So auch bei Christie, Als er seinen Job bei Harper-Collins (damals noch Collins) antritt, sind zeitweise einige ihrer Bücher nicht mehr lieferbar und werden erst wieder aufgelegt, wenn genügend Vorbestellungen vorliegen. Collins führt deswegen eine Marktstudie durch, um Mittel zu finden, Agatha Christie besser zu vermarkten. Ein Ergebnis: in Frankreich verkaufen sich Christie-Bücher wesentlich besser als in Großbritannien, da in Frankreich Omnibus-Ausgaben sehr populär sind. Also bringt man auch im UK preisgünstige Sammelbände heraus. Ein wichtiges Marketinginstrument sind Buchcover. Christie selber wusste das schon und hatte immer ein Auge auf die Cover. Ständig werden diese dem Zeitgeschmack angepasst. Als Chorion Agatha Christie Limited übernimmt, verpassen sie Agatha Christie ein Branding: ihre markante Unterschrift, die von nun an auf die Cover gedruckt wird. Außerdem soll am Cover gleich ersichtlich sein, ob es ein Poirot, ein Marple, ein Tommy and Tuppence oder ein „Standalone“-Krime ist. Marktforschungen ergeben, dass Agatha Christie und die Kriminalliteratur zeitweilig nicht unbedingt einen guten Ruf haben. Also wird „Agatha Christie“ dezenter auf den Umschlag gedruckt, damit Mitreisende in der Tube nicht gleich sehen, was man liest. Als der Trend sich wieder umgekehrt, erscheint Agatha Christie wieder in größerer Schrift auf dem Cover. Wenn Verfilmungen ihrer Romane im Fernsehen oder gar im Kino laufen, versuchen Haper-Collins im Fahrwasser mitzuschwimmen. Nicht immer klappt das: während sich „Mord im Orient“ mit dem Cover von Kenneth Branagh ordentlich verkauft, verkaufen sich Tommy und Tuppence im Rahmen der unsäglichen Verfilmung durch die BBC vor einigen Jahren, sehr schlecht. Die Comics – oder Graphic novels – zuerst in Frankreich veröffentlicht, dann ins Englische übersetzt – verkaufen sich zunächst sehr gut, dann aber immer schlechter, bis die Comic-Serie ganz abgesetzt wird. Ähnlich ergeht es Charles Osborne mit seinen Roman-Adaptionen von Christies Theaterstücken: „Black coffee“ läuft sehr gut, nach dem dritten Buch „Unexpected guest“ ist bereits Schluss. Wenn nicht David das Schlusszeichen für seinen Vortrag von den Organisatoren erhalten hätte, hätte er sicher noch mehr Interessantes von seiner Arbeit berichten können.

Meine nächste Entscheidung ist nicht so glücklich. Ich setzte mich ins Museumskino, um die Dokumentation „South Bank Show on Agatha Christie“ anzusehen. Schon in der ersten Minute stelle ich fest, dass ich die Doku unter dem Titel „Agatha Christie – how did she do it?“ erst kürzlich auf einer alten VHS-Kaufkassette erworben habe. Sie lief auch vor vielen Jahren im ZDF in einer deutschen Überarbeitung. Es ist aber wieder schön, Christie Biographin Janet Morgan, Mathew Prichard und viele andere Personen (einige bereits verstorben) jung und im Stil der 80er Jahre gekleidet wiederzusehen.

Leider verpasse ich dadurch eine Art Performance von Michael Holgate, die zeitgleich lief. Holgate hat vor Jahren ein kleines Büchlein mit dem Titel „Agatha Christie’s True crime inspirations“ verfasst. Wer aber geglaubt hatte, Holgate würde über diesen wahren Kriminalgeschichten, die Christie in ihren Bücher aufgegriffen hat, berichten, sah sich getäuscht. Stattdessen trug er dazu Lieder zur Gitarre vor. So wurde aus Cole Porters „Miss Otis regrets“ „Mrs Christie regrets“. Die Reaktionen sind unterschiedlich: einige verlassen den Raum vorzeitig, andere tut der Vortragende leid, wieder andere sind amüsiert oder finden die Aufführung gar nicht schlecht.

Ali Marshalls Vortrag „Agatha Christie’s Potent Plants“ habe ich schon öfter im Garten von Torre Abbey gehört. So hole ich mir lieber das schmackhafte Lunch_Paket ab und besichtige anschließend die Christie Gallery im Museum. Carl hat Recht: sie könnte ein Update gebrauchen.

Um 14 Uhr höre ich mir den Vortrag von Judy Dewey, freiwillige Helferin im Wallingford Heimatmuseum an. Dort hat man eine Ecke, die Agatha Christie gewidmet ist und alle zwei Jahre organisiert man kurz vor dem Festival in Torquay Veranstaltungen über die Queen of Crime. Agatha Christie lebte mit ihrem zweiten Ehemann Max Mallowan in Wallingford, da dieser im nahe gelegenen Oxford dozierte. Hier arbeitete Agatha Christie viel an ihren Büchern, während sie in Greenway ihre Ferien verbrachte. Sie beteiligte sich auch am Gemeindeleben, war Präsidentin der lokalen Amateur-Bühne, unter der Voraussetzungen, dass sie keine Reden halten musste. In der Nähe, in Cholsey, sind sie und ihr Mann auch begraben.

Um 15 Uhr referiert John Curran dann über „Zehn kleine Negerlein“ bzw. „Und dann gab’s keines mehr“: das Buch, das Theaterstück, die Verfilmungen und Bücher, die von Chrsties Buch beeinflusst wurden oder es parodieren („Ten little astronauts“ zum Beispiel).

Zum Abschluss präsentiert John einen Mystery Film: es ist eine uralte Verfilmung von „They came to Bagdad“, die in den 50er Jahren im amerikanischen Fernsehen lief. Sie ist an vielen Stellen unfreiwillig komisch, da man die Theaterkulissen direkt als solche erkennt und durch die Werbeunterbrechungen, in den beispielsweise für die neuen Bügeleisen mit offenem Griff (!) des Sponsors Westinghouse geworben wird.

Mit dem signierten dicken Band von John Curran über Collings Crime Club unter dem Arm verlasse ich anschließend das Museum. Wir rücken in einem italienischen Lokal in der Nähe des Museums eng zusammen, damit niemand an einem Katzentisch sitzen muss. Als dann noch Judy Dewey aus Wallingford das Lokal betritt, rücken wir noch enger zusammen. Ich glaube, ich habe noch nie so beengt zu Abend gegessen. Judy sitzt neben mir und kann mir einiges aus Wallingford berichten, zum Beispiel, dass das Haus, das die Mallowans einst bewohnten von einem Deutschen gekauft wurde, der allerdings selten dort wohne und sich nicht sehr für Agatha Christie und die Vergangenheit seines Eigentums interessiere.

Fotos aus dem Tag im Museum in meinem Fotoalbum.

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