Extra, extra: „Newsies“ in London

„Newsies – die Zeitungsjungs“ aus dem Jahr 1992 unter der Regie von Kenny Ortega und mit Christian Bale in der Hauptrolle ist seinerzeit komplett an mir vorbei gegangen. Was wohl auch daran lag, dass der Film ein gewaltiger Flop war. Der Komponist Alan Menken bekam für den Song „High Times, Hard Times“ aus dem Soundtrack sogar eine Goldene Himbeere.

Mit der Veröffentlichung auf Video änderte sich aber die Meinung und der Film und erreichte eine Art Kult-Status. Fast 20 Jahre später wurde der Film zu einem Musical adaptiert, das von 2012 bis 2014 mit großem Erfolg mit Jeremy Jordan in der Hauptrolle am Broadway lief. Spektakulär war schon damals die Choreographie. Die Musik von „Magic Menken“ (er ist weltweit einer von zwei Personen, die einen Razzie, Emmy, Grammy, Oscar und Tony („REGOT“) gewonnen haben) trug natürlich auch zum Erfolg bei. Sowohl der ursprüngliche Film als auch ein Mitschnitt einer Musical-Aufführung können auf Disney Plus gestreamt werden. Eine schöne Aufführung des Musicals an einer amerikanischen High School ist auf YouTube zu sehen.

Weitere 10 Jahre später ist das Musical nun in London angekommen. Mit einer neuen Choreographie, die die amerikanische noch überbietet. Es ist eine sogenannte „immersive“ Produktion, bei der alle Sinne angesprochen werden sollen. Mit Bedacht wurde vermutlich das Troubadour Theatre im Wembley Park als Spielstätte ausgewählt. Die Bühne und die gewaltige Kulisse im ehemaligen Warenlager ist wie geschaffen als New York im Jahr 1899. „Immersiv“ bedeutet, dass die Zuschauer Teil des Geschehens werden. Um einen herum, teilweise auch über einem herrscht ständig Bewegung. Newsies verkaufen ihre Zeitungen, Karren, Tische und andere Bühnenutensilien werden zur Bühne gebracht und wieder in Richtung Kulissen abtransportiert. Von hört teilweise die Newsies miteinander reden und das Geschehen auf der Bühne kommentierten.

Die Energie, die die jungen Akteure mitbringen, ist beeindruckend. Sie bringt die Lebensfreude der Newsies, die sich trotz des harten Lebens nicht unterkriegen lassen, zum Ausdruck. Das Ensemble ist zahlreich und verteilt sich über die ganze Bühne – und das ganze Theater. Die Choreographie der Produktion ist spektakulär und darf sich zurecht Hoffnungen auf einen Olivier Award machen. Die Energie, Ausdauer, Präzision und Körperbeherrschung der Akteure – insbesondere bei den akrobatischen Einlagen – macht den Betrachter sprachlos.

Die Geschichte, die in Newsies erzählt wird, behandelt die sozialen Themen, die die Gesellschaften seit der Industriellen Revolution beschäftigen: wie gerechte Bezahlung, der Kampf gegen Ausbeutung, Arbeitsschutz und Kinderarbeit. Die Story beruht auf historischen Begebenheiten. 1899 streiken die Newsies, die Zeitungsboten, weil die führende Zeitungsverleger Pulitzer und Hersh die Preise, die die Newsies für die Zeitungen im Voraus bezahlen müssen, erhöhen. Die Arbeit der meist minderjährigen Boten, oft Kinder von Einwanderern, die mit ihrem Verdienst zum Überleben der Familie beitragen müssen, ist ohnehin hart. Bei Wind und Wetter müssen sie die Zeitungen an die Leser oder Leserinnen bringen. Manchmal erfinden sie dabei auch Schlagzeilen, wenn es keine interessanten Nachrichten gibt. Verkaufen sie die Zeitungen nicht, bleiben sie auf den Blättern sitzen. Wenn sich der Tag dem Ende neigt, verkaufen sie die „Paps“ unter ihrem Einkaufspreis, um ihren Verlust zu verringern. Im Musical sind der charismatische Jack Kelly und der clevere Davey mit seinem kleinen Bruder die Streikführer. Auch das Thema „Macht und Einfluss“ der Presse wird angesprochen. Pulitzer und seine Kollegen verschweigen in ihren Blättern den Streik, denn wie Pulitzer es formuliert: was nicht in der Zeitung steht, hat nicht stattgefunden. Es überrascht, das der Disney-Konzern, nicht immer dafür bekannt, mit ihren Angestellten freundlich umzugehen, sich dieser Thematik annimmt.

Wie der Zufall spielt, prägen Streiks momentan nicht nur das Leben im Vereinigten Königreich. Das Musical spricht damit aktuelle Probleme an, ganz anders als 1992, als der Film in die Kinos kam und die Welt noch komplett anders aussah. Das Musical ist „uplifting“: die Newsies und Pulitzer finden einen Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. Nach einem Kompromiss sieht es im derzeitigen britischen Arbeitskampf leider nicht aus. Nach einem grandiosen Finale, bei dem sämtliche Akteure noch einmal ihr überragendes tänzerisches Können zur Schau stellen können, verlässt das Publikum beschwingt das Theater, um sich erneut den Problemen des Alltags stellen zu können.

Dreimal sehe ich mir das Musical an, jedes Mal eine Freude.

Fotos und Videoclips dazu in meinem Fotoalbum

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