Live zum Millennium aus London: Freitag, 31.12.1999: Die Nacht der Nächte

Jetzt ist es soweit: das neue Millennium bricht an. Ganz London scheint der Millennium-Mania verfallen zu sein. Doch am Vormittag setzte ich mein Besichtigungsprogramm fort. Ich fahre nach Westminster, das heißt, ich muss bis Embankment fahren, da Westminister-Station wegen der Millenniumsfeiern schon geschlossen ist. Ich besichtige als alter Aquarianer das London Aquarium. Wegen technischer Probleme kann es heute erst eine halbe Stunde später geöffnet werden. Sündhaft teure 8 £ kostet der Eintritt. Abgesehen von einigen Mini-Haien bietet es dafür nicht mehr als die meisten anderen Aquarien in den Zoologischen Gärten. Meiner Meinung nach sind darüber hinaus viele Becken überbesetzt. Bereits nach einer Stunde bin ich wieder draußen. Ich werfe noch einen Blick auf das London Eye, das Millennium Wheel. Das "Un-Glücksrad" (The Times) soll zwar heute vom Premierminister Blair eröffnet werden, aber Passagiere können doch erst im Februar damit fahren. Es gibt noch technische Probleme mit den Gondeln. Anschließend gehe ich ins Hotel zurück. Dort wartet noch eine nette Überraschung auf mich: in meinem Zimmer steht eine Flasche Sekt von der Hotelleitung spendiert.
Ich stimme mich mit dem Sekt ein und beginne diese Reisebeschreibung. Angeregt durch die Times steige ich kurz 19 Uhr in die U-Bahn. Die ganze Stadt ist schon auf den Beinen – zu einem Teil millenniumsmäßig kostümiert. Ich fahre Richtung Southwark. Wie ich der Times entnommen habe, will die Queen nach einem Besuch in einem Obdachlosen-Zentrum einen kurzen Gottesdienst in Southwark Cathedral besuchen, bevor sie sich auf den Weg zum Dome macht. Die London Bridge, die ich auf dem Weg zur besagten Kathedrale besuche (übrigens ein Meisterwerk der Gotik), ist bereits voll von Menschen und für den Verkehr gesperrt. Die Stimmung ist gut. Ich erreiche die Kathedrale, wo sich bereits einige Menschen eingefunden haben. Ich stehe in der zweiten Reihe am Gitter. Vor dem Eingang warten bereits "Offizielle" unruhig auf die Monarchin. Suchhunde schnüffeln das Gelände nach Bomben ab.  Nach ca. 40 Minuten kommt sie – ganz pünktlich vorgefahren. Die Queen entsteigt ihrer Limousine – sie trägt einen orange-braunen Mantel und einen passenden Hut, was tatsächlich recht gut aussieht. Sie und Prince Philip plaudern eine Weile mit dem Empfangskomitee. Dann betreten sie die Kathedrale. Einige Zaungäste verlassen daraufhin auch den Ort, so stehe ich jetzt in der ersten Reihe. Nach 20 Minuten kommt die Königin endlich wieder heraus. Sie spricht noch ein paar Worte mit ihren Gastgebern, winkt sehr freundlich der Menge zu und fährt dann ab. Die Menschen am Zaun sind ihr recht zugetan. "She’s a a good woman", höre ich einen älteren Mann sagen. 
Ich fahre wieder zurück in Richtung Westminster, da ich eigentlich in der Nähe von Big Ben dem Jahreswechsel entgegen harren möchten. Doch an der Station Temple heißt es, dass "very, very strongly" empfohlen würde, hier auszusteigen und zu Fuß weiterzugehen, da die Station Embankment hoffnungslos überfüllt sei. Ich folge dem Hinweis und versuche, zu Fuß in Richtung Westminister zu gehen, was very, very foolish ist. Nach kurzer Zeit ist die Menschenmenge so dicht, dass es kein vor und zurück gibt. Ich versuche, an den Straßenrand zu gelangen, um den Maßen in einer Seitenstraße zu entgehen. Es gelingt mir mit Mühe und Not. Vor mir eine Geisteskranke in dem Gewühl mit einem Kinderwagen (!). Bis zum Feuerwerk um Mitternacht sind vor allem Jugendliche so betrunken, dass Polizisten sich um die am Boden Liegenden kümmern müssen. Andere verrichten ihre Notdurft an Häuserwänden.
Das Feuerwerk um Mitternacht ist wirklich sensationell: 20 Minuten, auch wenn ich es in der Seitenstraße nur mit Sichtbehinderung sehe. Der Rückweg zum Hotel ist leider eine einzigartige Katastrophe. Da viele U-Bahn-Stationen aus Sicherheitsgründen geschlossen sind, muss bis Waterloo Station laufen. Die Menschen sind immer noch ausgelassen. Vor dem Eingang zu Waterloo Station steht eine Menschentraube. Was ich nicht weiß: der überdachte Eingang ist trichterförmig. Am Anfang geht es noch mit Stopp und Go, dann stockt alles. Eine knappe Stunde bin ich in dem Tunnel und sehe immer noch nicht den Eingang zur Bahnhofshalle. Die Leute habe aufgehört zu singen, teilweise kommt es zu kleinen Rangeleien. Ich schließe mich ein paar Mutigen an und mache mich auf den Rückzug. Nach einem langen Marsch erreiche ich endlich Victoria Station, von dort ist es nur eine Viertelstunde bis zu meinem Hotel. Dort komme ich kurz vor drei Uhr an. Trotzdem: es hat sich gelohnt!
Die Fotos zur Reise finden Sie in meinem Fotoalbum

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