Live zum Millennium aus London: Donnerstag, 30.12.1999: Mit Desirée auf Dianas Spuren

Am Morgen steht Kultur auf dem Programm. Leider regnet es in Strömen. Ich fahre mit der U-Bahn bis Mansion House, überquere die Themse, um Shakespeares New Globe Theatre zu besichtigen. An historischer Stelle hat man hier so gut wie möglich Shakespeares Theater rekonstruiert. Bemerkenswerterweise ist der Wiederaufbau dem amerikanischen (!) Schauspieler Sam Wanamaker zu verdanken, der sich als Student darüber wunderte, dass an die Wirkungsstätte des größten Dichters aller Zeiten nur eine schäbige Plakette erinnerte. Ein engagierter Führer klärt uns über die Rekonstruktion auf. Wanamaker war es wichtig, dass alles soweit wie möglich dem Theater Shakespeares nahe kommt. Daher benutze man Material der damaligen Zeit und auch die Technik der Zeit. Das New Globe ist kein Museum, sondern auch heute ein Theater. Wie zu Shakespeares Zeit sind die Eintrittspreise relativ gering, man darf während der Vorführung seinen Platz verlassen, sich die Beine vertreten, etwas zu essen holen und dann zurückkommen. Shakespeares Stücke seien so angelegt, dass man nicht unbedingt alles mitbekommen müsse, die Informationen würde an späterer Stelle im Stück wiederholt. Neu für mich: Shakespeare erfand viele Wörter, weil es damals kein passendes Wort gab, so dass man heute seine Stücke besser verstehen kann als damals, da die von ihm geschaffenen Wörter inzwischen in den englischen Wortschatz eingegangen sind. Unser Führer kann noch mehr solcher interessanten Informationen um das Schauspiel zu Shakespeares Zeiten vermitteln: eine Führung ist unbedingt empfehlenswert!
Und nun zu etwas völlig anderem. Oder doch nicht so ganz? Schließlich wäre das Leben von Princess Diana, der "Königin der Herzen" Stoff für ein Shakespeare-Drama gewesen. Durch ein glücklichen Wink des Schicksals fällt mir im Hotel ein Prospekt der "Original London Walks" in die Hände und ich sehe, dass heute "Princess Diana’s London" auf dem Programm steht. Ich finde mich um 14 Uhr im Green Park, Ausgang Ritz Hotel ein. Es regnet immer noch. Trotzdem finden sich ca. zehn Diana-Interessierte ein: überwiegend amerikanische Touristen, ein junges Paar aus Deutschland und zwei Japaner. Unsere Führerin ist Desirée. Bevor es losgeht, vergewissert sich Desirée erst einmal, dass wir auch ja niemanden vergessen. Zwei junge Engländer, die sie fragt, ob sie auch zum Diana-Walk gekommen seien, schauen sie nur an, als ob sie sie ihnen ein zweideutiges Angebot machte. Nun kann’s losgehen. Desirée erklärt, was wir uns schon gedacht haben, dass der Treffpunkt Ritz-Hotel nicht zufällig ausgewählt sei. Das Ritz-Hotel London gehöre zwar nicht Mohammed al Fayed, dem Besitzer des Hotels in Paris, in dem Diana zum letzten Mal aß, bevor sie sich auf die Unglücksfahrt machte, aber die Royals geben hier oft Parties. So fand hier zum Beispiel der erste quasi offizielle Fototermin von Charles und Camilla statt. 
Der Text auf dem Programm der London Walks hat es schon angedeutet. Dort heißt es: "She (= Diana) wrote poetry on our souls. And made us wonder. And then the heavens cracked upon and claimed her". Für Desirée gibt es nur Schwarz und Weiß: Diana – die Gute – hat in eine herzlose Familie eingeheiratet. In fünf Minuten hat sie sämtliche Skandale der Windsors von Alice Keppler (Edward VII.), Wallis Simpson bis zu Camilla Parker Bowles abgehandelt. Eine ziemliche Leistung, schließlich waren es nicht wenige. Wir halten vor Clarence House, dem Sitz der Queen Mum. Auch sie kriegt ihr Fett weg, sie sei die "eiserne Faust" in der Familie, sehr entschlossen und werde bestimmt weit über hundert Jahre alt. Sie habe Diana ausgewählt, denn sie habe drei Qualitäten mit in die Ehe gebracht: "Sie musste Aristokratin und Protestantin sein. Und das dritte Kriterium?", fragt Desirée. "Jungfräulichkeit", ruft eine Amerikanerin. "Sehr gut, Madam", lobt Desirée, "keine Geschichten mit Männern". Darüber hinaus sei Diana englischer als die Royals gewesen, die ja schließlich – da sie aus dem Haus Hannover kommen – deutsche Verwandte hätten. Sie spricht das Wort "German" so aus, als seien sie mit der Mafia verwandt. "Die Queen Mum winkt uns immer sehr freundlich zu, wenn sie aus dem Haus kommt und ich meine Touren mache", weiß Desirée zu berichten. "Das würde sie vielleicht nicht mehr machen, wenn sie wüsste, was ich hier so erzählte", raunt sie uns dann noch verschwörerisch zu.
Unsere nächste Station ist Buckingham Palace. "Hier merke ich immer, wer gerade aus dem Flugzeug gekommen ist. Die Neuankömmlinge wissen oft nicht, dass das der Amtssitz der Königin ist." Desirée erklärt die Geschichte des Palastes. Dabei schiebt sie sich immer wieder ihren Hut zurück, den sie sich dann selbst mit dem Regenschirm ins Gesicht drückt. Gelegentlich entschlüpft ihrem Mund eine französische Vokabel oder sie spricht ein Wort französisch aus, wenn ihr gerade keines einfällt. "Auf diesem Balkon haben sich Charles und Diana geküsst. Doch es war keine romantische Szene, sondern die Menschen riefen ‚Kiss her – Kiss her". Andrew habe gerufen ‚Come on‘. Charles habe fragend zu seiner Mutter geblickt, die nur stumm genickt habe, erzählt Desirée, als habe sie selbst auf eben jenem Balkon gestanden. Weiter geht es zum St. James’s Park. Hier erzählt sie die Geschichte von der Queen, die angeblich nicht wollte, dass Charles Dianas Leichnam aus Paris abholte und dass sie in einem Palast aufgebahrt würde.
Wir begeben uns anschließend in Londons feinere Einkaufsstraßen. Desirée zeigt uns das Geschäft, in dem Charles das Hochzeitsgeschenk für Diana erstand und wo er den Verlobungsring kaufte. Der Hinweis auf die Manschettenknöpfe mit den verschlungenen C’s (angeblich ein Geschenk von Camilla für Charles) darf hier natürlich nicht fehlen. Nun sehen wir einen Club, den Diana und Fergie häufiger besuchten. Angeblich hätte die Queen Sarah anfänglich bewundert und zu Diana gesagt, warum sie nicht mehr wie sie sein könnte. Nachher hätte die Queen davon nichts mehr wissen wollen.
Letzte Station ist Mohammed Al Fayeds Haus in der Park Lane. Hier traf Diana sich öfter in den letzten Wochen ihres Lebens mit Dodi Al Fayed. Überraschenderweise verkündet Desirée, dass Dianas und Dodis Beziehung nur eine Ablenkung gewesen sei. Diana sei hoffnungslos in den pakistanischen Arzt Khan verliebt gewesen. Dodi habe nur den Anweisungen seines Vaters Mohammed gehorcht, der sich von einer engen Beziehungen mit den Royals die Anerkennung des Establishment erhofft habe. Zum Schluss weiß Desirée noch von Dianas Besuch bei einer Hellseherin kurz vor ihrem Tod zu berichten. Eine "Freundin" habe ihr berichtet, dass sie vor einem Tunnel gewarnt worden sei. Dann verabschiedet sich Desirée: "Am vorletzten Tag des Jahrhunderts: wer war das größte Idol des Jahrhunderts?". Sie ist etwas enttäuscht, als nicht alle "Diana – Diana" rufen. "Wollen wir sie im Gedächtnis bewahren. Ihre Wärme. Ihren Kampf gegen AIDS, ihr Einsatz für Kranke. – Links Marble Arch-Station, rechts Hyde Parke Corner." Und mit einem gehauchten "Au revoir" entschwindet sie unseren Blicken.
Wie bereits erwähnt besuche ich heute "The Lion King", das Musical nach dem gleichnamigen Disney-Zeichentrickfilm. Ich war recht skeptisch, wie die Darsteller realistisch als Tiere auftreten könnten. Doch die Kostüme, das Bühnenbild und die Regie sind hervorragend, Disney ist auch hier zur Perfektion ausgereift. Well done! Ein langer Tag geht damit zu Ende.
Die Fotos zur Reise finden Sie in meinem Fotoalbum

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