Golden Jubilee week: 03.06.2002 (Montag): Pop in the Park

Nachdem ich einen Tag und eine Nacht den Flur für mich allein hatte, ist es mit der Ruhe um 7 Uhr vorbei. "Boah, das Zimmer ist geil", höre ich wie nebenan das Zimmer gestürmt wird. Eine neue Schulklasse ist angereist und zwar statt wie angekündigt schon um 7 Uhr statt um 9 Uhr. Offenbar hat der Lehrer die Zeitverschiebung falsch berechnet.
So sitze ich früher als geplant auch am Frühstückstisch und breche anschließend zum Tower auf. Eigentlich könnte ich auch zu Fuß gehen, denn der Tower ist vom Wynfrid House nur ca. 10 Minuten entfernt, doch ich fahre trotzdem mit der U-Bahn.
Stolze 11.50 £ kostet der Eintritt, durch meine Traveller Card gibt es immerhin 10 % Ermäßigung.  Zunächst nehme an einer Führung durch einen Yeoman Warder teil. Es ist eine große Gruppe, die sich versammelt hat, zu einem großen Teil Amerikaner, aber auch einige Briten sind dabei. Wegen des Jubilee sind einige mit den Nationalfarben bekleidet; ein Mädchen hat sich die Fingernägel mit dem Union Jack verziert, oder besser gesagt, die Mutter hat es gemacht. Der Yeoman ist ganz begeistert. Er führt uns durch die fast 1000-jährige Geschichte des Towers, der als Festung, als Palast und als Gefängnis genutzt wurde. Die Führung endet in der Chapel Royal of St. Peter in Vincula. Hier sind viele der im Tower oder auf dem Tower Hill Hingerichteten begraben, darunter Thomas More (der heilige Thomas Morus), Anne Boleyn (zweite Frau Heinrichs VIII.) und andere. Vor der Kirche liegt die Scafold Site, hier wurden viele "Prominente" mit dem Beil hingerichtet, nur Anne Boleyn wurde – mit Ausnahmegenehmigung Heinrichs VIII. – mit dem Schwert geköpft. Die meisten aber starben auf dem Tower Hill, außerhalb des Towers – vor den Augen der Öffentlichkeit. Im Tower nur solche, die unauffällig beseitigt werden sollten.
Nach der Führung erkunde ich selbstständig den Tower. Ich besichtige zunächst den White Tower, den ältesten Teil, aus der Normannenzeit aus dem Jahr 1078. Hier befand sich die Waffenkammer des Landes. Das Queen’s House ist aus der Tudor-Zeit. Hier hat Anne Boleyn ihre letzten Tage verbracht, hier wurde Guy Fawkes (bekannt durch den Gunpower Plot) verhört und auch Rudolf Hess saß hier. Im Wakefield Tower ist der Thronsaal Edward I. nachgebaut, vielen aus dem Film "Braveheart" noch in unguter Erinnerung. Weitere Stationen sind der Bloody Tower, wo Richard III. seine kleinen Neffen ermordet haben soll. Außerdem war hier Sir Walter Ralegh mit Familie gefangen gehalten worden, bevor er 1618 enthauptet wurde. Viele Gefangene im Beauchamp Tower haben sich in den Mauern des Turmes verewigt. Schließlich werfe ich einen Blick auf die Kronjuwelen. Sie scheinen alle vollzählig zu sein. Auch die Krone der verstorbenen Queen Mum ist wieder da. Zu ihrem Begräbnis war sie auf der Fahrt zur letzten Ruhestätte der Queen Mother auf den Sarg gelegt worden. Die Imperial State Crown wird erst wieder zur Parlamentseröffnung von der Queen getragen werden. Dann wird ein Schild mit der Aufschrift "in use" den den Waterloo Barracks, wo die Kronjuwelen aufgewahrt werden, zu sehen sein. Die Juwelen werden hier seit 1996 ausgestellt. Sie  wurden nicht immer so gesichert wie heute aufbewahrt. Bis ins 17. Jahrhunderte konnten Besucher gegen ein Trinkgeld für die Wache einen Blick auf die Pretiosen werfen. 1671 versuchte ein gewisser Oberst Thomas Blood die Kronjuwelen zu stehlen. Er verkleidete sich als Pfarrer und gewann das Vertrauen vom Wächter, Talbot Edwards, indem er eine Eheschließung zwischen Edwards Tochter und seinem angeblichen Neffen vermitteln wollte. Am 9. Mai 1671 veranlasste Colonel Blood Edwards ihm und einem Komplizen die Kronjuwelen zu zeigen. Die beiden fesselten und knebelten Edwards daraufhin und flüchteten mit der Beute. Edwards gelang es dennoch, Alarm zu schlagen. Die Räuber wurden gefasst und Blood wurde im Tower eingesperrt – aber später von König Charles begnadigt.
Anlässlich des Thronjubiläums informiert eine spezielle Ausstellung im Martin Tower über die Geschichte der Kronjuwelen. Man erfährt, dass Oliver Cromwell sämtliche Regalien hat einschmelzen und verkaufen lassen. Nur der Löffel aus dem Salbungsgefäß ist noch ursprünglich, der Rest wurde zur Krönung Charles II. nach der Wiederherstellung der Monarchie 1660 neu angefertigt. Auch später wurden Fassungen von Kronen gerne eingeschmolzen und der Schmuck neu verwendet, wenn die Krone "drückte" oder unmodern erschien. Ein Teil der Ausstellung widmet sich den Diamanten, hier werden beispielsweise der "Koh-i-Noor" (108 Karat) aus der Krone der Königinmutter und der zweite "Stern von Afrika", mit 530 Karat der größte geschliffene Diamant der Welt, vorgestellt.
Um 13 Uhr werden 41 Schüsse zur Ehren der Königin vom Tower Hill abgegeben. Leider kann man im Tower das nicht beobachten nur hören – und den Rauch sehen.
Am frühen Abend fahre ich nach Victoria Station und gehe zum Buckingham Palace. Heute hat die Queen wieder Gäste in ihren Garten eingeladen (per Losverfahren über Hotline und Internet). "Pop in the Park" steht diesmal auf dem Programm mit vielen Interpreten aus der Geschichte der englischen Popmusik. Als ich ankomme, höre ich schon Phil Collins "You can’t hurry love" singen, was laut Times, Camilla Parker Bowles, zum Mitsingen animiert hat. Ich gehe in den Green Park und lasse mich vor einem Großbildschirm nieder. Aber auch hier herrscht – fast wie vor dem Buckingham Palace – ziemliche Enge. Eine Million Menschen sind vor dem Palast, im Green Park oder auf der Mall, wo überall das Konzert auf Großbildschirmen übertragen wird.
Die Stimmung ist großartig. Die sonst so coolen Briten, singen, tanzen und schwingen Fahnen. Viele haben Picknick-Taschen dabei. Als Tom Jones "You can leave your hat on" aus dem Film "The Full Monty" (Deutsch "Ganz oder gar nicht"), fällt bei einem jungen Mann erst das Hemd und dann tatsächlich auch der Rest.
Den größten Applaus des Abend erhält die Königin, als sie zum 22 Uhr die Bühne betritt. Ich hatte mich schon gewundert, dass immer nur Prince Charles, manchmal auch Prince William und Harry, eingeblendet wurden. Offenbar hat sich die Queen, die kein großer Pop-Fan ist, den ersten Teil des Konzerts geschenkt. Dann verkündete Dame Edna, die ebenso witzig wie Ben Elton den Abend über moderierte, "Possums, I think the jubilee girl is coming". Tosender Beifall vor dem Großbildschirm, auch wenn die Königin ihn gar nicht hören kann. Vorher hatte Dame Edna erzählt, dass ursprünglich das Konzert bei ihr im Garten stattfinden sollte, sie aber ganz egoistisch an ihren Rasen gedacht habe, den ihr verstorbener Mann immer so gepflegt hatte. Da habe sie an eine andere – ebenso bekannte – Hausfrau gedacht mit einem großen Garten und ihr eine E-Mail geschickt. "Ja, wir e-mailen uns. Denn unsere beiden Vornamen beginnen beide mit E." Und da die Queen kein Nein kenne, finde nun die Party im Buckingham Palace statt.
Prince Charles ergreift nun das Wort: "Your Majesty" beginnt er – und nach einer kleinen Pause fährt er fort "Mummy". Er dankt ihr für 50 Jahre Dienst für die Nation. Wieder Beifall. Außerdem dankt er allen Künstlern. Er habe schon viele Pop-Konzerte erlebt, aber ein solches noch nicht. Es sei ein Beleg für die vielfältige Popkultur des Landes, denn fast alle Interpreten waren Briten.
Nach der Nationalhymne ist das Konzert zu Ende und alles strömt zum Buckingham Palace. Denn dort wird der letzte Beacon of Light (Lichtstrahl) des Landes entzündet und anschließend gibt es ein überwältigendes Feuerwerk von 15-minütiger Dauer.
Mit diesen Eindrücken laufe ich  zur U-Bahn-Station "Embankment" und fahre zurück ins Wynfrid House.
Die Fotos zur Reise finden Sie in meinem Fotoalbum

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