Mit Agatha Christie in den Irak, Buchbesprechung und Joan Hicksons Miss Marple

Wieder ein vollgepackter Tag auf dem Christie Festival. Der Morgen beginnt mit einem Vortrag von Andrew Eames. Eames schrieb vor 20 Jahren „The 8.55 To Baghdad“. Darin begibt er sich auf Spuren von Agatha Christie, die im Jahr 1928 mit dem Orient Express nach Istanbul und von dort weiter nach Bagdad reiste. Die Tour schildert Christie ausführlich in ihrer Autobiographie. Die Reise war für eine alleinstehende Frau in der Zeit außergewöhnlich und beschwerlich.

Der Journalist Eames, der sich bis dahin wenig mit Christie beschäftigt hatte, war davon fasziniert und beschloss, sich ebenfalls auf diese Reise zu begeben und darüber ein Buch zu schreiben. Schon früh stellte sich heraus, dass die Reise viel schwieriger werden würde als zu Christies Zeiten. Nicht nur, weil der Orient Express nicht mehr bis Istanbul fährt. Zudem kam, dass Eames seine Reise am Vorabend des zweiten irakischen Krieges begann. Wie in Christies Romanen, waren auf der Reiseetappe im Irak Personen im Bus, die nicht das waren, was sie vorgaben. Zum Beispiel einnehemaliger Marine, der vermutlich die Gegend ausspionierte und während der Reise plötzlich verschwand. Nach dem interessanten Vortrag nehme ich mir vor, Eames Buch endlich zu lesen.

Nach dem Vortrag sehe ich mir die Modelleisenbahn an, die vor einigen Jahren für eine TV-Sendung mit dem Thema „Agatha Christie“ entstanden war. Die beiden Bastler haben das Modell noch weiterausgebaut. Vor drei Jahren war das Diorama schon einmal während eines Chrstie Festivals ausgestellt worden. Diesmal wird es in der Krypta von Torre Abbey gezeigt.

Die Mittagspause verbringe ich wieder im Lunchtime Murder Club: heute ist Buchclub angesagt. Mark Aldridge und sein Podcast-Partner Gray Robert Brown haben „The Mirror crack’d from side to side“ aus den „Swinging Christie“ Jahren ausgesucht. Miss Marple erschließt sich daran eine neue Welt. Dorfgespräch in St. Mary Mead ist „The Development“, eine neue Wohnsiedlung auf ehemaligen Ackergebiet. Miss Marple erkundet das Neubaugebiet und stellt fest, dass die jungen Bewohner sich anders kleiden, anders reden, aber die Verhaltensweisen sich kaum geändert haben. Mark Aldridge enthüllt eine faszinierende Parallele zu Christies Leben. Auch in Wallingford, in dem Agatha Christie lebte, wurde zu der Zeit, als die den Roman schrieb, ein „Development“ angelegt. Christie, die inzwischen in Miss Marples Alter angekommen ist, lässt ihre Protagonistin die Veränderungen nicht ablehnen, sondern als etwas Natürliches akzeptieren. Weitere Themen sind das Mordopfer, das zwar sich wohltätig engagierte, aber trotzdem nur sich selbst gesehen hat sowie der Charakter der Marina Gregg.

Am Abend steht Mark Aldridge wieder auf der Bühne. Er setzt an der Stelle an, an der er im Vorjahr aufgehört hat: bei den unerreichbaren Miss-Marple-Verfilmungen mit Joan Hickson in der Titel-Rolle. Nach den vier Filmen mit Margaret Rutherford als Miss Marple verschwand die alte Dame für einige Zeit von der Leinwand. Der Weg für neue TV-Verfimungen wurden nach Christies Tod durch die „Agatha Christie Hour“ und Mini-Serien wie „The Seven Dials Mystery“ und „Why didn’t hey ask Evens“ geebnet. Dann kam der Kino-Film „The Mirror crack’d“ mit Angela Lansbury als Miss Marple. Die Filmgesellschaft EMI dachte sogar daran, im jährlichen Wechsel einen Poirot- (Peter Ustinvov) und einen Miss Maprle-Film herauszubringen. Dazu kam es aber nicht. „The Mirror crack’d“ blieb hinter den Erwartungen zurück und auch die Poirot-Spielfilme waren nicht mehr so erfolgreich. Es folgten dann zwei TV-Verfilmungen mit der amerikanischen Bühnen-Schauspielerin Helen Hayes. Die Christie Familie war darüber nicht sehr happy. Dann trat die BBC in Erscheinung und BBC-Producer Guy Slater sorgte für eine sehr gute Arbeitsbeziehung mit Christie-Tochter Rosalind Hicks. Ursprünglich wollte Slater die Rolle der Miss Marple mit Celia Johnson besetzen, die aber unerwartet starb. Slater brauchte etwas Überzeugungsarbeit, um Joan Hickson für die Rolle zu gewinnen. Die Dreharbeiten für die erste Staffel liefen geräuschlos. Nur das Drehbuch für „The Moving Finger“ erwies sich beim Dreh als strukturell fehlerhaft und musste kurzfristig umgeschrieben werden. Die Serie war sofort bei Publikum wie auch den Kritikern ein großer Erfolg. Zeitweilig wurde auch überlegt, Kurzgeschichten zu adaptieren. Aber erst ITV griff Jahrzehnte später diese Überlegung wieder auf bei ihrer Marple-Serie (wobei allerdings zwei Kurzgeschichten zu einem Film umgeschrieben wurden). Die Qualität der Miss-Marple-Serie mit Joan Hickson ist bis heute unerreicht. Nach dem wieder hervorragenden Vortrag wird noch einmal „Murder at the Vicarage“ mit dem großartigen Paul Eddington („Yes, Minister“) als Vicar gezeigt. Meine Christie-Freunde und ich gehen stattdessen zum Dinner, der nach dem Film reichlich spät wäre. Der einzige Kritikpunkt an dem Festival in diesem Jahr ist, dass die Zeiten merkwürdig gewählt wurden und die Pausen für ein Verbleiben in der Spanish Barn zu lang und für die Rückkehr zum Hotel zu kurz waren.

Fotos vom Christie Festival in meinem Fotoalbum

(Visited 8 times, 1 visits today)

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.