London 2001 Donnerstag, 21.06.2001: Eine unendliche Fahrt auf der Themse (nach Hampton Court) und „The beautiful game“

Wieder fahre ich zum Westminister Pier, diesmal nicht, um auf dem Riesenrad zu fahren, sondern ein Boot auf der Themse zu besteigen, das mich nach Kew Gardens und Hampton Court bringen soll. Das Schiff legt um 10.30 Uhr ab. Gemächlich fahren wir auf der Themse, ein Kommentator erklärt, was rechts und links vom Ufer zu sehen ist und wie die Brücken heißen, die wir unterqueren.
Nach einer Stunde haben wir circa die Hälfte der Strecke erreicht. Mein Tagesplan beginnt zu wanken. Zu dumm, dass ich nicht gefragt habe, wann wir in Hampton Court ankommen. Wenn ich zeitig zum gebuchten Musical "The beautiful game" um 19.45 Uhr in London zurück sein will, bleibt auf dem Rückweg nicht mehr viel Zeit für Kew Gardens, die botanischen Gärten der Stadt. Eine weitere Stunde später erreichen wir die Gärten auch, ein paar Passagiere steigen aus, ein paar neue steigen zu. Gemächlich geht es weiter, selbst Ruderboote überholen uns. Noch eine Stunde später – zwischenzeitlich haben wir eine Schleuse passiert und ich habe meine Pläne für Kew Gardens aufgegeben – durchfahren wir Richmond. Auch meine Mitreisenden fragen sich, wie lange die Fahrt wohl noch dauern mag.
Endlich eine halbe Stunde später zeichnet sich HamptonCourt Palace am Horizont ab. Der Palast – in einer Schleife der Themse – giltals einer schönsten englischen Königspaläste. Er wurde zwischen 1514 und 1520als Privatresidenz für den mächtigen Kardinal Wolsey erbaut. Wolsey fiel aberin Ungnade, weil er den Papst nicht dazu bringen konnte, zur Scheidung HeinrichsVIII. von Katharina von Aragón zuzustimmen. Er verlor Ämter und Besitz,Hampton Court Palace behielt Heinrich VIII. und ließ den Palast aufwendigumbauen. Er war damals einer der modernsten Europas. Erst unter Wilhelm vonOranien wurde Hampton Court wieder kräftig umbauen, so dass heute nicht mehrviel aus der Tudor-Zeit zu sehen ist. Die Hannoveraner Könige nutzen den Palastselten, später bewohnten die Royals ihn gar nicht mehr, 1838 wurde er fürBesucher geöffnet.
Wegen der fortgeschrittenen Zeit bleibt mir nur eine Stunde für die Besichtigung. Da ich die Gärten während meines dritten Londonaufenthalts gesehen habe, konzentriere ich mich auf den Palast. Ich gehe durch die Gemächer des Königs und der Königin, durch die Küchen  aus der Tudor-Zeit und durch die Räume von Kardinal Wolsey.
Um 16 Uhr nehme ich das Boot zurück. Da wir mit der Strömung fahren, sindwir bereits um 18 Uhr in London zurück. (Tatsächlich habe ich mir einenleichten Sonnenbrand auf dem offenen Deck zugezogen). So bleibt tatsächlichnoch Zeit für eine kleine Stärkung, bevor ich mich zum Cambridge Theatreaufmache.

"The beautiful game"

Das letzte Musical von Andrew Lloyd Webber "Whistle down the wind" hatte mir überhaupt nicht gefallen. Die Zusammenarbeit des konservativen Lords mit dem linken Ben Elton, der den Text zu "The beautiful game" schrieb, hat mich aber doch neugierig gemacht.
Im Programmheft lese ich, dass Webber ursprünglich Ben Elton zur (meiner Meinung nach misslungenen) Überarbeitung von StarlightExpress gewinnen wollte. Elton lehnte ab, schlug aber vor, ein Skript für ein ganz neues Musical zu schreiben. Lloyd Webber war interessiert, da er bisher nur Musicals zu bereits existierenden Romanvorlagen produziert hat, und versprach ihm, ein Video mit einer Dokumentation über einen jungen Mann und seine irische Fußballmannschaft  zu schicken. Seiner Meinung nach sei das ein guter Stoff.
Lloyd Webber war sehr überrascht, als schon wenige Tage später das Telefon klingelte und Ben Elton sich meldete. "Hallo, Kumpel. Gib mir mal deine Fax-Nummer durch, ich habe ein Exposé fertig." (Keiner von den beiden kann e-mailen).
Das Musical ist in der Tat schlecht besucht. Ich sitze fast allein in den oberen Rängen. Ich werde von den freundlichen Platzanweisern nach vorne gebeten, da auch dort noch reichlich Platz ist. So sitze ich statt auf einem 15 £-Platz auf einem für 25 £.
Das Stück schildert das Schicksal von Jugendlichen, die Anfang der 70er-Jahre in Belfast in einer katholischen Fußball-Jugendmannschaft spielen. Trainiert werden sie von einem jovialen Pfarrer, der auch einen Protestanten in die Mannschaft aufnimmt und die Jungen zu Toleranz anhält. Tatsächlich gewinnt die Mannschaft das Fußballturnier. Doch durch den Druck von außen, driften ein paar der Jungs zur IRA ab. Der Hauptdarsteller will mit seiner jungen Frau nach England gehen und dort eine Karriere als Fußballer beginnen. Doch er verhilft einem seiner Freunde, der sich mittlerweile der IRA angeschlossen hat, zur Flucht über die Grenze in die Republik. Doch er wird verraten und eingesperrt. Seine Mitgefangenen überzeugen ihn, in der IRA zu arbeiten. Das Musical schildert eindrucksvoll, wie eine ganze Generation durch den Konflikt zerrieben wird, endet aber mit einer Hoffnung. Der Sohn des Hauptdarstellers spielt in einer neuen Mannschaft des Pfarrers, seine Mutter ermahnt ihn, ein besseres Spiel zu spielen, als ihre Generation. Von den Musiknummern her kann das Musical nicht ganz überzeugen, sein sparsames Bühnenbild ist umso wirkungsvoller. Leider – weil die Briten, wie mir Norman erklärt, inzwischen die Nase voll vom Nordirlandkonflikt haben und das Stück vielleicht zu ernst für ein Musical ist – läuft das Stück nicht erfolgreich: Lloyd Webber muss pro Woche 20 000 £ dazubuttern. Aber er kann es sich sicher leisten.
Nachdem ich das Theater verlassen habe, gehe ich zu HMV und gucke mich nach der CD zu "The beautiful game" um, aber 17 £ sind mir dann doch zu teuer …
Die Fotos zur Reise finden Sie in meinem Fotoalbum

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