Ich bin schon zeitig am Frühstückstisch, da ich einen "Flug"auf/mit dem London Eye um 9.30 Uhr gebucht habe und man eine halbe Stunde vor"Abflug" gegenüber Westminister Pier parat stehen soll. Das continentalBreakfast (Toasts, Marmelade, Dauerwurst und Instant-Coffee) verleiten michnicht unbedingt dazu, zu lange am Frühstückstisch zu verweilen. So finde ich michpünktlich um 9 Uhr am Riesenrad ein. Ich brauche nicht lange zu warten, schon steheich vor einer der 32 gläsernen Kapsel des London Eyes.
Das British Airways London Eye ist das neue Wahrzeichen der Stadt. Es ist dasgrößte Riesenrad der Welt (135 Meter hoch) und wurde zum Millennium gebaut.Das Rad konnte zwar nicht rechtzeitig zum Jahrtausendwechsel in Betrieb genommen werden, ist aber das erfolgreichste Millennium-Projekt inLondon (der Dome war finanziell eine Pleite, die Millennium Bridge wartet miteiner unerwarteten Attraktion auf: sie vibriert, wenn man darüber geht).
Schon um 9.15 Uhr geht es los. Langsam dreht sich die Kapsel mit mir und einen Duzend anderer Mitfahrer. Während der halbstündigen Fahrt einmal um die Achse, genieße ich die Aussicht auf die Metropole. Da das Wetter gut ist, hat man eine gute Sicht. Während der Fahrt heizt sich allerdings auch die Kapsel sehr auf (eine Klimaanlage gibt es nicht). Es ist aber noch früh am Morgen und somit noch erträglich. Um 9.45 ist die Fahrt schon beendet.
Da ich schon einmal an den Houses of Parliament bin, sehe ich mir im Jewel Tower eine Ausstellung zur Parlamentsgeschichte an. An Exponaten gibt’s hiernicht viel zu sehen, aber die Entwicklung ist auf Texttafeln gut dokumentiert.
Ich nehme die U-Bahn nach Paddington, kaufe noch etwas Proviant und setze mich in den Zug nach Oxford. Unterwegs bekomme ich unfreiwillig die doch rechtinteressanten Reiseberichte über den südamerikanischen Urwald, die ein Mitreisender einer anderen Mitreisenden im Großraumwagen erzählt, mit. Außerdem lese ich in der Times das Neueste vom Prozess gegen Lord Archer. Nach 75 Minuten Fahrt erreiche ich Oxford. Unerwarteter Weise habe ich – im Gegensatz zufrüheren Jahren – keine Schwierigkeiten bei der Anerkennung meines BritRail-Passes.
Ich gehe vom Bahnhof in Richtung Innenstadt und überraschend schnell stehe im viereckigen Innenhof der Bodleina. Mit dieser Bibliothek ist es ähnlich wie mit der British Library. Drei Mal war ich bereits in Oxford: einmal – noch zu Studentenzeit – war mir der Eintritt zu teuer, einmal waren Semesterferien und einmal war die Bibliothek bereits geschlossen. Doch heute klappt es endlich. Ich kaufe ein Ticket für die Nachmittagsführung, schaue mir die zahllosen Souvenirs im Gift Shop an und wenig später geht die Führung auch los: ein Gentleman im Pensionsalter begrüßt uns. Seine Kleidung ist typisch englisch: die Farben sein Pullovers, seiner Krawatte und die seines Jacketts harmonieren nicht unbedingt miteinander.
In der Divinity School (1427 bis 1488 erbaut), erhalten wir eine kurze Einführung. In diesem Raum hat so mancher Prüfling schon geschwitzt. Bis zum 19. Jahrhundert fanden hier mündliche Prüfungen statt. Als im Jahre 1444 die Universität unerwartet 279 Handschriften vom Duke Humfrey von Gloucester geschenkt bekam, entschied man sich, ein zweites Geschoss auf das Gebäude zu setzen und hier die Bibliothek zu errichten. Ungefähr vierzig Jahre dauerte es,das Gebäude fertig zustellen. Nach 1488 verfiel die Duke Humfrey’s Library zunehmend, da die Universität keine Mittel hatte, die neu auf den Markt kommenden gedruckten Bücher zu erwerben. 1550 – im Laufe der Reformation – wurde die Bibliothek ganz aufgelöst. Der Raum blieb leer bis 1599.
Da erhielt der Universitätskanzler einen Brief von einem gewissen ThomasBodley. Sir Thomas Bodley war mit einigem Misserfolg als Botschafter seinerMajestät tätig gewesen, aber, so schrieb er, er verfügte über Beziehungenund – das war sicher ausschlaggebend – über Geld. Er bot sich an, das Gebäudeauf seine Kosten wiederherzustellen und es mit Büchern auszustatten. Natürlichnahm der Kanzler das Angebot an und 1602 wurde die Bibliothek wieder eröffnet,die bald den Namen seines Wohltäters erhielt. Bodley errichtete Anbauten undangrenzende Gebäude der Universität konnten übernommen werden. Aber dasBedeutendeste ,was Bodley für die Bibliothek erreichte, war eine Übereinkunftmit den Buchhändlern (1610), nach der bis heute die Bibliothek ein Freiexemplarjedes in England veröffentlichten Buches bekommt.
So besitzt die Bodleina (Stand 31.07.2000) 6,75 Millionen Bücher, 178 000 Handschriften und 6 500 Inkunabeln auf 173 Buchkilometern. In den Jahren 1999 – 2000 erwarb sie über 121 000 Monographien (79 000 als Pflichtexemplare, 34 600 durch Kauf, 7 800 als Tausch oder Geschenk). Die Bestände dürfen nur in der Bibliothek genutzt werden; selbst als der König einmal einen Band zur Ausleihe anforderte bekam er ein "Sorry, no" als Antwort.
Wir gehen durch das Convocation House, wo früher der Senat der Universität zusammenkam, wo aber auch im Bürgerkrieg das Parlament tagte, auch später fanden hier zwei Parlamentssitzungen statt. Nun dürfen wir – nachdem wir unsere Taschen abgegeben haben – in den ersten Stock und einen Blick auf die Duke Humfrey’s Library werfen. Während der Führungen dürfen die Lesesäle allerdings auch nicht betreten werfen. Unser Führer weist uns auf die Tafel über den Eingang hin, auf der die Wohltäter der Bibliothek aufgelistet sind. Für 250 000 Pfund würde auch unser Name in der letzten Spalte auf der Steintafel erscheinen. Wenn wir den Scheck gleich ausfüllten, würde er uns auch seinen Kuli leihen, scherzt unser Führer.
Damit ist die Führung auch fast schon zu Ende. Wir hören noch, das George III. ("The wisest fool in history") gerne die Bibliothek besuchte und einmal gesagt haben soll, wenn er mal eingesperrt werden sollte, sollte es in der Bodleian Library sein, dort habe er wenigstens gute Bücher zu lesen. Und aus Sir Thomas Bodley machte er "Sir Thomas Godley".
Ich bummele noch etwas durch die Straßen und Colleges, bevor ich den Zug zurück nach London nehme.
Die Fotos zur Reise finden Sie in meinem Fotoalbum
London 2001 Montag, 18.06.2001: Auf dem London Eye und nach Oxford
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